Arthur Abele stand fassungslos und weinend neben der Laufbahn. "Das war brutal. Das war emotional - die komplette Zerstörung", sagte Abele. Denn plötzlich war er raus. Disqualifiziert. Mitten in seinem allerletzten Wettkampf. Denn nach den European Championships 2022 in München wollte der 36-jährige Zehnkämpfer seine Karriere beenden. Aber nicht so.
Entsprechend tief saß der Schock, als die Schiedsrichter Abeles Rennen über 110 Meter Hürden nach wenigen Metern plötzlich abbrachen und den Ulmer wegen eines vermeintlichen Fehlstarts disqualifizierten. Abele war am Boden zerstört. Versteckte sich hinter der Bande und konnte die Tränen nicht zurückhalten. Doch es gab noch ein letztes Fünkchen Hoffnung: Abele und der Deutsche Leichtathletik-Verband legten Protest ein. Doch bis zur Entscheidung der Jury musste Abele erst einmal warten: "Ich bin nervlich total im Arsch", sagte Abele.
Abeles Erlösung vor dem Stabhochsprung
Trotz der Ungewissheit startete Abele wenig später im Diskuswurf und schleuderte die Scheibe 42,38 Meter weit. Auf dem Weg zum Stabhochsprung dann die erlösende Nachricht: Die Jury hatte entschieden, dass die Schiedsrichter mit ihrer Entscheidung daneben lagen. Abele durfte die 110 Meter Hürden nachholen - alleine.
Frenetisch angefeuert von den mehr als 20.000 Zuschauern im Münchner Olympiastadion kam er in 14,50 Sekunden ins Ziel, reckte die Arme wie ein Sieger in die Höhe und wurde wie ein Held gefeiert. "Super krass. Es war super gut. Es hat riesig Spaß gemacht", erzählte Abele. "Einerseits habe ich gedacht: Jetzt kannste nochmal richtig Gas geben. Aber ich war einfach schon am Limit. Aber bei der Stimmung - egal. Supercool."
Kauls Gold-Gala zu Abeles Abschied
Im Stabhochsprung reichte es für ihn nur zu einem 4,50-Meter-Sprung. Vor der Abendsession mit den letzten beiden Disziplinen bedeutete das für den Zehnkampf-Europameister von 2018 Platz 16 mit 6.235 Punkten. Viel wichtiger jedoch: Arthur Abele durfte den letzten Zehnkampf seines Lebens regulär beenden. "Ich bin so dankbar, dass ich nochmal laufen durfte", sagte Abele. "Die Punkte, die ich mir vorgenommen habe, sind weit weg. Aber ich bin richtig happy."
Bei der Gold-Gala des Mainzers Niklas Kaul am Dienstagabend warf Abele seinen Speer auf 60.98 Meter und lief die finalen 1.500-Meter seines Zehnkämpfer-Lebens in 4:40.94 Minuten. Doch die 7.662 Punkte und der daraus resultierende letzte Platz im Feld waren für Abele an diesem Abend zweitrangig. Denn zum Abschluss stand Arthur Abele wieder fassungslos und weinend im Olympiastadion. Diesmal auf der Laufbahn, und diesmal waren es Tränen der Freude. "Der ganze Tag war emotional. Erst ein Riesentief, dann wieder ein Hoch", sagte Abele im Interview mit der ARD. "Es war so eine geniale Stimmung hier. Es war so schön. Es hat so viel Spaß gemacht. Ich habe es einfach nur genossen." Und spätestens als alle Zehnkämpfer einen Spalier für Arthur Abele bildeten, um den Athleten in den sportlichen Ruhestand zu begleiten, wussten alle: Da geht ein Großer.