Noch nie war ein deutsches Team bei der Leichtathletik-WM ohne Edelmetall geblieben. Umso tiefer sitzt die Enttäuschung, die Suche nach den Gründen hat gerade erste begonnen. "Es ist auf jeden Fall Aufholbedarf, die Weltspitze ist davon gezogen", sagt Kai Kazmirek im Gespräch mit SWR Sport. Der Zehnkämpfer von der LG Rhein-Wied fiel bei den Titelkämpfen in Budapest verletzt aus. Als Zuschauer blieb ihm eine bittere Erkenntnis. "Bei uns fehlt im Moment einfach diese Spitze."
Für Kazmirek ist die mangelnde Unterstützung vieler Spitzensportler ein Grund für die aktuelle fehlende Wettbewerbsfähigkeit der Athleten und Athletinnen des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). Lediglich Mitglieder von Sportfördergruppen haben in Deutschland passable Bedingungen.
Andere Länder investieren mehr in den Sport
Anders sieht es in Nationen wie Schweden, Großbritannien oder den Niederlanden aus. Spitzenkräfte werden entsprechend gefördert, Erfolge stellen sich ein. Und nicht nur europäische Länder jubelten in Budapest: Der Inder Neerej Chopra holte Gold im Speerwurf.
Trainiert wird Chopra vom Deutschen Klaus Bartonietz. "Indien hat sich viel Know-How ins Land geholt, im Ausdauerbereich und in den technischen Disziplinen. Das sind jetzt die ersten Auswirkungen. Man kann schon erwarten, dass es da noch ein bisschen weitergeht" sagt Bartonietz zu SWR Sport. "Der Staat und private Sponsoren unterstützen den Leistungssport massiv", so Bartonietz weiter. "Während sich Deutschland auf dem Rückzug befindet, wird in Indien enorm investiert."
Leichtathletik | Hindernislauf Senkrechtstarterin Olivia Gürth gibt Zugabe beim Flutlicht Meeting Trier
Bei der Leichtathletik-WM in Budapest schaffte es Hindernisläuferin Olivia Gürth bis ins Finale, lief dort Bestzeit. Beim Fluchtlicht-Meeting Trier gab sie nun zum Saisonabschluss noch eine Zugabe, beobachtet von Konkurrentin Gesa Krause.
Falsche Förderung von Talenten?
Sportwissenschaftler Arne Güllich sieht in der falschen Talentförderung einen weiteren Grund für die ausbleibenden Erfolge. Er hat die Daten von Weltklasse-Athleten analysiert und festgestellt, dass zu frühe Spezialisierung nicht automatisch zu Medaillen führt - im Gegenteil.
"Die Weltklasse-Athleten haben erst später mit ihrer Hauptsportart begonnen, sind später in Talentfördersysteme aufgenommen worden", so der Professor von der Technischen Universität Kaiserslautern. Spitzenathleten hätten somit auch weniger in ihrer Sportart trainiert als jene aus der nationalen Klasse.
Deutsche Leichtathletik vor schwieriger Phase
Der DLV zieht als Fazit dennoch, dass Talente über Landesverbände gefördert werden und anschließend als potenzielle Kandidaten für die Nationalmannschaften und internationale Wettbewerbe weiterentwickelt werden, wie DLV-Präsident Jürgen Kessing nach der WM gesagt hatte.
Bei SWR1 Leute ergänzte Kessing, dass bei der WM vor allem auch die Stärke anderer Nationen, nicht nur die Schwäche der Deutschen ein Faktor gewesen sei. "Das Leistungsniveau war in Budapest unglaublich hoch, dass selbst deutsche Rekorde oder persönliche Bestleistungen nicht ausgereicht haben, um dann eine Medaille zu erhalten."
Ob Leistungsdelle bei den eigenen Athleten oder doch die Stärke der Konkurrenz: Fest steht, dass die deutsche Leichtathletik knapp ein Jahr vor den Olympischen Spielen in Paris vor schwierigen Zeiten steht.