Es war das letzten Heimspiel für Andy Schmid mit den Rhein-Neckar Löwen. Dem Schweizer war es nicht vergönnt, es mit einem Sieg zu krönen. Dafür war der Gegner, der THW Kiel, an diesem Abend zu stark. 26:33 hieß es am Ende aus Sicht der Löwen. Doch das war für Schmid nur eine Nebensache.
Das Spiel war für den mittlerweile 38-Jährigen noch einmal ein absolutes emotionales Highlight. Bereits vor der Schlusssirene flossen bei ihm die Tränen, die Fans in der Halle skandierten "Andy, Andy". Schmid wurde von den Anhängern, seinen Mitspielen, aber auch von den Profis der Gegner gefeiert. Der Schweizer bekam eine große Verabschiedung.
Die Löwen verlieren mit Schmid einen der besten Spielmacher seine Zeit. "Seine individualle Qualität und sein Handball-Gehirn sind schon etwas Besonderes", so Löwen-Coach Ljubomir Vranjes.
Der erste Eindruck: Personalisierter Spind statt Schulsporthalle
Schmids Geschichte bei den Rhein-Neckar Löwen begann vor zwölf Jahren. Der damals 26-Jährige wechselte aus Dänemark in die Metropolregion Mannheim und erfüllte sich damit einen großen Wunsch. "Das war immer ein Traum von mir, in der Bundesliga, in der stärksten Liga der Welt zu spielen", sagt Schmid heute rückblickend. "Andererseits", so verrät er, "hatte ich schon ein bisschen Bammel", denn die zukünftigen Mannschaftskameraden kannte er bis dato nur aus dem Fernsehen. Für Schmid war es gleich zu Beginn eine "komplett neue Welt", hatte er sich in der Schweiz und in Dänemark noch in Schulsporthallen umgezogen. Bei den Löwen fand er nun einen personalisierten Spind vor.
Der schwierige Anfang
Der Anfang gestaltete sich sehr kompliziert. Der damalige Löwen-Coach Ola Lindgren war bereits nach sechs Saisonspielen Geschichte. Schmid bekam immer weniger Spielzeit und stand bereits wieder kurz vor dem Absprung. "Das war sicherlich die schwierigste Zeit in meiner Karriere. Da bin ich wirklich mit allen Vieren auf dem Rücken gelegen", so Schmid. Doch seine Besessenheit und sein Ehrgeiz trieben ihn weiter an. Schmid wollte diese persönliche Niederlage nicht einstecken und sagte sich am Ende seiner ersten Löwen-Saison: "Okay, jetzt gebe ich mir noch ein Jahr Zeit". Das sollte rückblickend genau die richtige Entscheidung gewesen sein.
Der erste (persönliche) Erfolg
Der Schweizer steigerte sich im zweiten Jahr deutlich. Im September 2013 wurde sein Vertrag bereits vorzeitig verlängert. In der gleichen Saison wurde er zum Spieler der Saison in der Handball-Bundesliga gekürt. Für ihn "mehr eine Verpflichtung, als ein Lob", empfand er diese Auszeichnung als Messlatte für seine zukünftigen Leistungen. Mittlerweile, nachdem er weitere vier Mal zum Spieler der Saison gewählt wurde, fällt Schmids Fazit nicht mehr so kritisch aus: "Jetzt sehe ich, dass ich etwas Spezielles geschafft habe, dass ich Dinge geschafft habe, die ich mir niemals hätte vorstellen können."
Der geplatzte Traum
Ein Jahr später folgte der nächste Schock. Die Löwen spielten eine hervorragende Saison und verloren das Meisterschaftsrennen gegen den THW Kiel dennoch am letzten Spieltag - mit dem knappsten Rückstand der Bundesliga-Geschichte (zwei Tore). "Das war als Mannschaft der einschneidenste Moment", sagt Schmid im Nachhinein. Jahrelang hatten er und seine Mannschaftskollegen für diesen Moment gekämpft. Auf der "surrealen", langen Rückfahrt aus Gummersbach mischte sich Wut mit Ehrgeiz und entwickelte neue Motivation. "Wir geben nicht auf, bis wir das Ding in unseren eigenen Händen halten", erinnert sich Schmid, der sich selbst als miserablen Verlierer bezeichnet, Niederlagen aber trotzdem recht schnell anerkennen kann.
Der erste Meistertitel der Vereinsgeschichte
Zwei Jahre später sollte es dann endlich soweit sein. Durch einen deutlichen Sieg beim TuS Nettelstedt-Lübbecke am letzten Spieltag sicherten sich die Löwen 2016 die erste Meisterschaft der Vereinsgeschichte. ""Der Druck, der abfiel, war immens", sagt Schmid heute. Freudetrunken lagen sich die Spieler in den Armen, doch einer fehlte auf dem Parkett: Andy Schmid. Er war aus der Halle gegangen, um seine Emotionen für sich selbst verarbeiten zu können. "Über diese zwei Jahre hat man dieses Gefühl, diesen Ehrgeiz irgendwie 24/7 gespürt", sagt Schmid heute, "mir sind die Tränen heruntergelaufen, ich konnte es nicht stoppen".

Der Triumph hält an
"Die war logisch", sagt Andy Schmid über die erfolgreiche Titelverteidigung 2017 und fügt hinzu: "Wir waren damals wirklich dominant. Wir hatten eine unglaubliche Qualität in der Mannschaft, gepaart mit dieser Erleichterung, mit diesem Willen." Im Anschluss an den Heimerfolg gegen den THW Kiel und die damit verbundene Meisterschaft hieß es oft, Andy Schmid habe den Löwen den Titel geholt. "Das ist übertrieben", entgegnet der bodenständige Schweizer. Als Führungsspieler war es für ihn selbstverständlich, in einer engen Partie noch mehr Verantwortung zu übernehmen.
Was fehlt?
Trotz aller Erfolge gibt es auch unerfüllte Träume, beispielsweise den Gewinn der Champions League, der für die Löwen aus sportlicher Sicht greifbar war: "Das nagt, muss ich ganz ehrlich sagen. Wir waren mehr als gut genug in dieser Phase, haben aber zu wenig investiert", beschreibt Schmid die Hochzeit der Löwen-Dominanz rückblickend. Auch eine mögliche Auszeichnung zum Welthandballer des Jahres blieb dem heute 38-Jährigen verwehrt. Die Schweiz konnte sich erstmals 2021 für eine Handball-Weltmeisterschaft qualifizieren. "Jedes Event im Januar, EM oder WM, war dann schon irgendwie schwierig. Hier zu Hause auf dem Sofa zu sitzen und Spieler zu sehen, die ich eigentlich tagtäglich auch im Training sehe oder wöchentlich bei den Spielen", so Schmid.
"Das ist nicht nur, dass ich meinen Verein verlasse. Sondern wir beenden hier als Familie einen Lebensabschnitt von zwölf Jahren."
Was bleibt?
Trotzdem sieht sich Schmid als Türöffner für schweizer Spieler, denen es gelungen ist, im Ausland Fuß zu fassen. Für ihn ein Punkt, "wo ich mich selber am meisten lobe dafür, wenn man das selber machen darf". Besonders stolz ist der Vater von zwei Kindern aber darauf, seiner Familie die Stabilität ermöglicht zu haben, die man im Spitzensport selten hat.
Wie geht es weiter?
"Das ist nicht nur, dass ich meinen Verein verlasse. Sondern wir beenden hier als Familie einen Lebensabschnitt von zwölf Jahren", so Schmid. Sein 400. Bundesligaspiel am Sonntag in Magdeburg wird definitiv sein letztes Spiel für die Löwen sein. Anschließend kehrt Andy Schmid zum HC Kriens-Luzern zurück und will nach seiner aktiven Karriere dem Handball-Zirkus als Trainer erhalten bleiben. Dafür arbeitet er gerade an seiner Trainerlizenz und pflegt seit 2016 ein Dokument mit Trainingsinhalten, taktischem Wissen und kritischen Momenten für Traineransprachen. Eine Rückkehr zu den Löwen ist "eine Möglichkeit, aber noch in weiter Ferne".