Eishockeyprofi Glemser in der Reha (Foto: SWR)

Fortschritte nach schwerem Eishockey-Unfall

#97bestrong. Das andere Leben - Mike Glemser

Stand
AUTOR/IN
Inken Pallas

Bei einem Sturz im Spiel gegen den SC Riessersee verletzte sich Eishockey-Profi Mike Glemser schwer. SWR Sport hat den gebürtigen Stuttgarter in der BG Unfallklinik Murnau besucht.

Es ist der 3. Februar 2023, die 9. Spielminute: Eishockey-Profi Mike Glemser, Stürmer von den Starbulls Rosenheim, stürzt nach einem Bodycheck mit dem Kopf in die Bande, der vierte und fünfte Halswirbel brechen. Die ganze Eishockey-Welt geschockt: Mike Glemser ist querschnittsgelähmt, der 25-jährige steht nun vor den schwierigsten Aufgaben seines Lebens.

Diagnose: Querschnittsgelähmt, vom Nacken abwärts

Er versucht, sich zu konzentrieren, zieht die Stirn in Falten und wird von Physiotherapeutin Selene noch einmal richtig angefeuert: "Probier' es nochmal, versuch, alles anzuspannen, komm schon, 1,2,3 und...jaaaa." Ein Schweißtropfen läuft über Mikes etwas schmerzhaft verzogenem Gesicht – der Versuch, sich aufzurichten, ist eine körperlich unglaublich anstrengende Herausforderung. "Mein Sportlerleben war so einfach gegenüber dem Leben jetzt, alles ist extrem schwierig", sagt er im Gespräch mit SWR Sport. "Das Schlimmste ist, wenn du morgens aufwachst und merkst: Du kannst Dich einfach nicht bewegen."

Kein Wort über den Unfall

Über sein Sportlerleben, über den Unfall, möchte er nicht mehr reden. Es sei passiert, könne nicht mehr geändert werden, man müsse nun versuchen, mit der jetzigen Situation fertig zu werden. In der BG Unfallklinik Murnau hat er ein intensives Programm – morgens ab 7 Uhr: Frühstück, Körperpflege, Anziehen. Ab 9 Uhr folgen verschiedene Therapie-Stunden: Physio, Ergo, Massage, Stromtherapie, Psychologen-Gespräche. Nur eine kurze Mittagspause, bis 16 Uhr ist sein Tagesablauf durchgeplant.

"Das größte Problem ist einfach, dass du die Hilfe von so vielen Leuten benötigst und du so unselbständig bist."

Glemser: "Der Trizeps fühlt sich an wie eine Lederhaut"

In der Physio-Stunde wird er mit einem Hebelift aus dem Rollstuhl auf die Physiobank gehoben. Physiotherapeutin Selene sortiert seine Beine, setzt sich hinter Mike und versucht, seine Nacken- und Schultermuskulatur zu aktivieren, gleichzeitig das richtige Atmen zu üben. Auch das fällt Mike noch schwer, denn er musste nach zwei Operationen künstlich beatmet werden, weil das Zwerchfell nicht funktionierte. Er hatte Erstickungsanfälle, konnte nicht sprechen – Freundin Lara brachte sich selbst das Lippenlesen bei, konnte damit den Pflegern "übersetzen", was Mike wollte.

Mike Glemser 1 (Foto: SWR)
Eishockey-Profi Mike Glemser ist nach seinem Unfall zur Reha in der BG Unfallklinik Murnau. Bild in Detailansicht öffnen
Mike Glemser 3 (Foto: SWR)
In der Ergotherapie wird Mike an alltägliche Bewegungen herangeführt. Das gezielte Bewegen der Arme und Hände ist für Mike noch anstrengend. Bild in Detailansicht öffnen
Mike Glemser 2 (Foto: SWR)
Ergotherapeutin Jessica und Mike freuen sich über kleine Fortschritte. Bild in Detailansicht öffnen
Mike Glemser 4 (Foto: SWR)
Bei Besuchen von Freunden und Bekannten geht Mike schon des Öfteren ein lockerer Spruch über die Lippen. Bild in Detailansicht öffnen
Mike Glemser 5 (Foto: SWR)
Seine Teamkollegen von den Starbulls Rosenheim bringen zum Besuch nach der Meisterschaft Pokal und Medaille mit. Bild in Detailansicht öffnen

Seit April kann Mike wieder sprechen, noch leise, schreien oder lautes Fluchen geht nicht. Das will er auch nicht. Er versucht, ruhig und sachlich sein Körpergefühl zu beschreiben: "Am Oberkörper spüre ich die Arme, aber auch da ist alles unterschiedlich. Am Bizeps spüre ich mehr, am Trizeps fühlt es sich eher an wie Lederhaut. Das linke Bein spüre ich ein bisschen besser, das rechte eigentlich gar nicht. Was sich gering verbessert hat, sind nur Schulter und Bizeps, da klappt ein kleines bisschen mit Bewegung, aber insgesamt ist die Verbesserung eher gering."

Trinken, essen, sprechen - Mike Glemser muss alles lernen

Nach der Stunde Physio ist er erschöpft, müde , ausgelaugt, aber kaum sitzt er wieder im E-Rolli, geht's Richtung Ergo-Therapie. Hier wird die Motorik trainiert, damit Dinge aus dem alltäglichen Leben eines Tages wieder funktionieren: Trinken, Essen, Sachen greifen. Und man spürt Mikes Humor, als Therapeutin Jessica etwas nervös ist, vor der Kamera zu arbeiten, beruhigt er sie: "Hey, Du machst einfach das Gleiche wie immer. Das habe ich mir als Sportler dann auch gesagt: 'Wenn ich im Training das Ding reinhaue, dann auch im Spiel. So machst Du das jetzt.'"

#97BeStrong - Eishockey-Solidarität

Eishockey war schon immer seine große Leidenschaft. Der Stuttgarter verbrachte seine Jugend beim SC Bietigheim-Bissingen bis zur U18, danach wechselte er zum Kölner EC. Mike Glemser war auch in der Nationalmannschaft im Einsatz, spielte als Profi für verschiedene Vereine, zuletzt sorgte er als torgefährlicher Stürmer der Starbulls Rosenheim auch für Aufstieg und Meistertitel in der Oberliga. Sein Verein startete sofort nach dem Unfall eine Spendenaktion, eine Welle der Solidarität schwappte durch die ganze Eishockey-Welt. Mehr als eine halbe Million Euro wurde gespendet, doch wie wenig das für ein ganzes Leben als Querschnittsgelähmter ist, wird auch schnell deutlich.

Eishockeyprofis sind Teilzeitangestellte - ohne Spenden geht es nicht

Es war ein "Arbeitsunfall", also bekommt Mike Glemser eine Rente von der Berufsgenossenschaft, das heißt zwei Drittel von seinem letzten Gehalt in der Oberliga. Eishockeyspieler sind aber nicht das ganze Jahr, sondern immer nur eine Saison lang (sieben bis neun Monate) angestellt. Und auch die Zuschüsse von der Berufsgenossenschaft, was Rehamaßnahmen, Wohnungsumbau oder Autozuschuss betrifft, sind wichtig. Die finanzielle Unterstützung, die Mike Glemser nicht nur in den kommenden Wochen und Monaten, sondern lebenslang braucht, ist bei erhöhten Miet- und Lebenshaltungskosten noch nicht abzusehen.

Die Familie ist dankbar für die Spenden, Vater Kenneth ist hier immer ansprechbar: "Es gehört dazu, dass man die Leute informiert, auch was in Zukunft mit Spenden gemacht wird." Um diese Dinge soll sich Mike derzeit keinen Kopf machen; darum kümmern sich vor allem sein Vater Kenneth und seine Freundin Lara. Sie wollen Mike Kraft geben, ihn aufmuntern, ablenken. Sie alle hoffen auf medizinische Entwicklungen, dass es eine Chance auf bessere Lebensqualität gibt: "Jetzt bin ich im Krankenhaus, mache meine Reha, versuche, dass es besser wird. Ich glaube, so richtig realisieren werde ich es erst, wenn ich wieder zu Hause ankomme."

"Ich fühle mich immer noch wie in einer Blase"

Mike ist in den vergangenen Jahren als Eishockey-Profi oft umgezogen, seine Heimat sei Stuttgart und er gehe davon aus, dorthin zurückzukommen. Das aktuelle zu Hause, wahrscheinlich bis Ende des Jahres, ist aber die Reha-Abteilung der BG Unfallklinik Murnau. Um nah bei ihm zu sein, hat seine Familie eine Wohnung in der Nähe gemietet.

Lara ist täglich bei Mike, arbeitet während seiner Physio-Stunden und in Nachtschichten im Home Office für ihren Arbeitgeber, als Betriebswirtin studiert sie parallel General Management. Mike und Lara wollen nach vorne blicken, für Kleinigkeiten hart arbeiten. Beide beschreiben sich als ungeduldige Menschen, die hier auch Geduld lernen müssen. Mike ist froh, dass Lara das Drumherum wie Presseanfragen, Anträge etc übernimmt, so könne er sich auf sich selbst konzentrieren.

"Ich bewundere ihn Tag für Tag, wie er das hier meistert"

Auch für Lara eine schwierige Zeit, doch sie ist vor allem stolz auf Mike, "wieviel Kraft und Motivation er hat, das durchzustehen. Er ist einfach ein wundervoller Mensch, liebevoll, witzig und ich bin unendlich froh, dass ich ihn habe". Seine Teamkollegen von den Starbulls Rosenheim vermissen ihn und haben ihn auch schon besucht. Auch mit dem Meisterschaftspokal.

Gemischte Gefühle für alle, erzählt Mike. Alles was Eishockey betrifft, ist eine sehr emotionale Angelegenheit. Wenn er ein Spiel anschaut, wird ihm klar, wie sehr er Eishockey liebt. Und dass er es nie wieder spielen kann. Bei Besuchen von Kumpels und Freunden gab es zuerst auch "Berührungsängste": "Die meisten waren am Anfang sehr zurückhaltend, haben aber gemerkt, dass ich ich geblieben bin, also haben dann versucht, mich ganz normal zu behandeln. Die Gespräche und das Rumgeflachse gibt es also immer noch."

Fingerspitzengefühl in der Therapie

In der Ergo-Stunde mit Jessica übt Mike ehrgeizig "Solitaire", versucht, mit den von ihm nicht kontrollierbaren Händen Pins zu greifen, rechts mit dem Magnetstab zwischen den Fingern. Die Arme müssen mit Gewicht angeschnallt werden, alles ist kompliziert und anstrengend. Das mit dem Trinken, also eine derzeit noch leere Tasse hochheben, funktioniert heute nicht richtig. "Nicht so schnell" und "Geduld, Geduld", hört man von Jessica und "wenn es nicht mehr geht, musst Du Bescheid sagen". Die Antwort von Mike: "Das sag ich nicht."  Er kämpft weiter und zieht ein Mike-Fazit: "Ist schon wackelig, also heiße Getränke, trink ich besser noch nicht."

Mike Glemser, 25 Jahre, Ex-Eishockey-Profi – ein völlig neues, anderes Leben, ein brutaler Schicksalsschlag, und dennoch ist er der herzliche, schlagfertige Mensch geblieben.

Stand
AUTOR/IN
Inken Pallas

Mehr Sport

Stuttgart

Tennis | WTA-Turnier in Stuttgart Tennis-Star Swiatek gelingt in Stuttgart Schritt zum Titel-Hattrick

Iga Swiatek ist in Stuttgart nicht zu stoppen. Die Nummer eins der Tennis-Welt spielt am Samstag um den Finaleinzug.

Sport kompakt SWR1 Baden-Württemberg

Stuttgart

Tennis | WTA-Turnier in Stuttgart Siegemund sagt verletzt fürs Doppel-Halbfinale in Stuttgart ab

Das hatte sich Laura Siegemund sicher anders vorgestellt: Statt beim Sandplatz-Turnier in Stuttgart ins Doppel-Finale einzuziehen, muss die Schwäbin ihr Halbfinale absagen.

Sport kompakt SWR1 Baden-Württemberg

Sankt Goarshausen

Extremsport | Blue Run Extremläufer Simon Fischer - in 31 Marathons vom Bodensee nach Berlin

Simon Fischer hat eine Mission: Die Menschen darauf aufmerksam machen, welche Konflikte entstehen können, wenn sie nicht achtsamer mit ihrem Wasser umgehen. Darum läuft er und läuft und läuft und läuft.

SWR4 am Donnerstag SWR4