"Wenn man so einen großartigen Erfolg erzielt, wie wir mit der Deutschen Meisterschaft im Juni, dann ist es auch klar, dass Spieler für uns nicht zu halten sind", sagt Thorsten Leibenath im Interview mit SWR Sport. Konkret meint ratiopharm Ulms Sportdirektor damit die brasilianischen Nationalspieler Yago dos Santos und Bruno Caboclo sowie die beiden US-Amerikaner Joshua Hawley und Brandon Paul. Alle vier waren in der vergangenen Saison Leistungsträger und hatten großen Anteil am ersten Meistertitel der Ulmer in der Basketball-Bundesliga (BBL).
Für dos Santos, Caboclo und Hawley erhielt Ulm immerhin eine Ablösesumme
Im Fall von Brandon Paul, dessen Vertrag zum Saisonende ausgelaufen ist, lagen die "finanziellen Vorstellungen zu weit auseinander", sagt Leibenath. Der Flügelspieler mit NBA-Erfahrung habe vergangene Saison unter Marktwert in Ulm unterschrieben und es sei früh klar gewesen, dass eine Verlängerung unwahrscheinlich ist. Hawley, Caboclo und auch Finals-MVP dos Santos hatten hingegen noch einen Vertrag für die kommende Spielzeit, jedoch zogen die Spieler eine Ausstiegsklausel. Immerhin ging ratiopharm Ulm dabei nicht leer aus: "Wir haben für alle drei eine Ablösesumme erhalten", sagt Leibenath. Die Höhe dieser Ablöse nennt der Sportdirektor aber nicht.
Dass Spieler mit viel Potenzial Verträge mit Ausstiegsklauseln besitzen, ist im europäischen Basketball nicht ungewöhnlich – erst recht für Vereine in der Finanzklasse von ratiopharm Ulm. Dass der Deutsche Meister überhaupt eine Ablösesumme erhalten habe, ist fast schon als Erfolg zu werten. Die Höhe dieser Ablösen liegt im europäischen Basketball in der Regel aber deutlich unter denen, die man aus dem Fußballgeschäft kennt.
Die Neuen haben wieder viel Potenzial, sind in Europa aber weitestgehend unbekannt
Mit George Lucas Alves de Paula, genannt Georginho, hat Ulm diesen Sommer einen Spieler verpflichtet, der viel mit dem abgewanderten dos Santos gemein hat. Beide sind Aufbauspieler, Nationalspieler Brasiliens und waren in Südamerika auf Klubebene äußerst erfolgreich. Dakota Mathias, Trevion Williams und L.J. Figueroa sind ebenfalls neu im Kader und haben in den vergangenen Jahren die meiste Zeit in der G-League, der Entwicklungsliga der NBA, verbracht. Von den vier Neuzugängen hat lediglich Dakota Mathias einige wenige Spiele in Europa absolviert.
Spieler zu holen, die sich in Ligen wie der BBL erst noch beweisen müssen, gehört in den vergangenen Jahren zur Ulmer Transferpolitik dazu. "Diese Risiken gehen wir in der Regel ein, weil das einfach eine Wette auf das Potenzial dieser Spieler ist, was wir hoffentlich dann wecken können", erklärt Leibenath. Natürlich habe das in erster Linie finanzielle Gründe. So könne Ulm an Spieler kommen, die der Qualität entsprechen, die dem Klub vorschwebe, die aber trotzdem in das verfügbare Budget passen. Vergangene Saison ging dieses Konzept mit Spielern wie dos Santos und Hawley voll auf.
Europäische Toptalente kommen nach Ulm – der OrangeCampus macht es möglich
Mit Noa Essengue wechselte in diesem Sommer ein 16-jähriger französischer U-Nationalspieler an die Donau, der laut Medienberichten von einigen europäischen Topklubs umworben wurde. "Es hilft, dass wir mittlerweile bewiesen haben, dass sich solche Spieler bei uns gut weiterentwickeln können", sagt Leibenath zum Transfer. Auch wenn von Essengue in der kommenden Spielzeit noch keine Wunderleistungen erwartet werden dürfen, erinnert die Verpflichtung doch sehr an die der Toptalente Killian Hayes und Juan Núñez, die beide bei den Ulmern durchstarteten.
Ein Grund, warum derartige Toptalente sich in den vergangenen Jahren für ratiopharm Ulm entschieden haben, sind sicherlich die herausragenden Trainingsbedingungen. "Mit dem OrangeCampus haben wir eines der modernsten Trainingszentren in Europa", sagt Leibenath und fügt hinzu: "Natürlich haben wir auch sehr gute Trainer." Mit Alec Anigbata verpflichteten die Schwaben in diesem Sommer auch noch einen deutschen U-Nationalspieler. Der 18-Jährige kommt aus der Nachwuchsabteilung vom FC Bayern München.
Deutsche Spieler konnten gehalten werden
Überhaupt ist es Thorsten Leibenath und Ulm gelungen, die Achse an deutschen Spielern zu halten. Mit den Nationalspielern Philipp Herkenhoff und Karim Jallow konnte Ulm sich auf Vertragsverlängerungen einigen. Robin Christen, Nicolas Bretzel und der Österreicher Thomas Klepeisz, der einen deutschen Pass besitzt, stehen auch in der kommenden Spielzeit weiter im Kader der Schwaben. "Dass wir auf den deutschen Positionen keinerlei Aderlass haben, ist schon eine sehr wichtige Basis", resümiert der Sportdirektor. Mit dem 18-jährigen Franzosen Pacôme Dadiet soll außerdem ein weiteres Toptalent fester Bestandteil der Rotation werden. Dadiet war in der vergangenen Saison aus Paris gekommen.
Trainer Anton Gavel fehlt in der kommenden Spielzeit knapp die Hälfte der Meistermannschaft. Außerdem müssen einige Spieler in das Team neu integriert werden. Gavel hat in der abgelaufenen Saison aber bewiesen, dass er eine Mannschaft hervorragend formen und entwickeln kann. Wo Ulm mit diesem Kader im Ligavergleich steht, möchte Thorsten Leibenath noch nicht bewerten, dafür sei es schlicht noch zu früh. Bei anderen Teams, wie zum Beispiel Berlin und München, sei die Kaderplanung noch nicht abgeschlossen.
Leibenath: Zufrieden mit dem Sommer, Playoffs als Ziel
Von einer Titelverteidigung möchte der Sportdirektor nicht sprechen. Für Ulm gilt weiterhin: "Das Erreichen der Playoffs ist ein erstrebenswertes Ziel." Auch wenn Leibenath sehr gerne "den ein oder anderen Importspieler der Meistermannschaft" gehalten hätte, zieht der Sportdirektor ein den Umständen entsprechend positives Sommerfazit: "Ich bin wirklich zufrieden mit der Off-Season und sehr optimistisch."