Wer will noch mal? Wer hat noch nicht? In diesen Tagen muss man nur den Namen Joshua Kimmich in den Mund nehmen oder in die Tastatur tippen, und schon gibt es kein Halten mehr: Ratschläge, Anweisungen, Befehle, höhnische Kommentare, Beschimpfungen, Applaus, Verteidigungsreden, Kopfschütteln, Abwinken, Wutreden. Seitdem der Profi des FC Bayern München in einem Interview bestätigt hat, dass er sich (noch) nicht hat impfen lassen, flutet die gesamte Palette unserer Emotionen die Medien.
Der Ton wird rauer
Mir scheint, als würde der Name des deutschen Fußballnationalspielers exemplarisch für eine Spaltung unserer Gesellschaft stehen. Der Ton ist rauer geworden. Paul Breitner, Fußball-Weltmeister von 1974, würde ungeimpfte Spieler wie Kimmich erst gar nicht in seiner Mannschaft spielen lassen. Ein anderer Weltmeister, Lukas Podolski, beklagt, Impfskeptiker Kimmich werde wie ein "Schwerverbrecher" an den Pranger gestellt.
Die einen verdammen den 26-Jährigen für seine Haltung, die anderen feiern ihn für seinen Standpunkt. Die Bandbreite der Kommentare reicht von "Hosianna" bis "Kreuziget ihn".
Kimmich als Blitzableiter
Ich möchte gar nicht näher auf das Thema Impfen eingehen. Mir geht es vielmehr darum, wie wir in diesen von den sozialen Medien dominierten Zeiten kommunizieren und wie wir miteinander umgehen. Anstatt das direkte Gespräch zu suchen, reden und schreiben wir über die oder den anderen. Wir tun dies häufig in einem Tonfall, den wir niemals verwenden würden, wenn diese Person uns am Tisch gegenübersitzen würde.
Ich möchte nicht in der Haut von Joshua Kimmich stecken. Er muss derzeit als Blitzableiter oder Projektionsfläche fest zementierter Überzeugungen und Emotionen herhalten.
Es stände uns gut zu Gesicht, wenn wir in diesen aufgeregten Zeiten verbal kräftig abrüsten und uns in der Be- und Verurteilung anderer zurücknehmen würden. Der Bayern-Profi hätte sicherlich nichts dagegen.