Brünker kniet auf Rasen (Foto: IMAGO, Christian Schroedter)

Fußball | Hintergrund

Fußballprofi Kai Brünker nach dem Tod seines Vaters: "Es war ein harter Weg"

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Johannes Seemüller
Johannes Seemüller, SWR-Sportjournalist (Foto: SWR)

Fußballprofi Kai Brünker (28) hat innerhalb weniger Monate alle Ausschläge erlebt, die das Leben bereithält. Erst die Geburt seiner Tochter und bald darauf das Verschwinden und der Tod seines Vaters. Im SWR-Gespräch erzählt er von verrückten Gedanken, einfühlsamen Teamkollegen und vielen offenen Fragen.

SWR Sport: Kai Brünker, wie geht es Ihnen?

Brünker: "Aktuell geht es mir gut. Es war in den vergangenen Monaten natürlich ein harter Weg. Mental bin ich stabil, war ich eigentlich auch immer. Ich habe immer nach vorne geschaut. Aber die Ereignisse haben mir schon sehr zu schaffen gemacht und Kraft geraubt. Körperlich fühle ich mich vielleicht bei 75 Prozent. Damit bin ich zufrieden. Ich hatte schließlich keine wirkliche Wintervorbereitung und habe zwischendurch sechs Wochen nicht viel machen können. Aber auch wenn ich nicht auf dem Platz stand, habe ich versucht, mich mit individuellen Läufen fit zu halten. Und wenn ich spiele, haue ich ohnehin immer alles raus."

Ihr Team, der 1. FC Magdeburg, hat vor wenigen Tagen den Hamburger SV mit 3:2 geschlagen; jetzt geht es am Sonntag zum anderen Aufstiegskandidaten nach Heidenheim. Wer steigt neben Darmstadt direkt in die Bundesliga auf: der HSV oder Heidenheim?

Brünker: "Ich komme aus dem Südwesten. Deshalb weiß ich, dass in Heidenheim eine super Arbeit geleistet wird. Deshalb würde ich ihnen den Aufstieg gönnen. Ich habe aber früher als Kind immer den HSV geschaut. Das ist ein Verein, der nicht in die Zweite Liga gehört. Ich gönne es beiden Klubs, dass sie nächste Saison erstklassig spielen. Auf jeden Fall fahren wir mit breiter Brust nach Heidenheim."

Ob Brünker (Spitzname "Panzer") in Heidenheim zum Einsatz kommt, ist ungewiss. Niemand erwartet, dass er in diesen Tagen seine volle Leistungsfähigkeit abrufen kann. Zu belastend und energieraubend ist das, was der 28-Jährige in den vergangenen Monaten erleben musste. Hinter dem Mittelstürmer des Zweitligisten 1. FC Magdeburg liegt eine verrückte Achterbahnfahrt der Gefühle. Noch Anfang September war der in Villingen geborene Brünker der glücklichste Mensch der Welt. Voller Stolz gab er gemeinsam mit Freundin Marina die Geburt von Tochter Alicia bekannt. Es ist das erste Kind des Paares.

Brünker hält die Tochter auf dem Arm (Foto: IMAGO, Lobeca)
Kai Brünker mit Tochter Alicia

Brünker erinnert: "Ich dachte damals: Boah, glücklicher geht nicht. Aber dann passieren im anderen Moment Dinge, wo du denkst: Schlimmer geht’s ja gar nicht."

Am 23. Dezember 2022, am Tag vor Heiligabend, verschwindet plötzlich Brünkers Vater Dirk. Nachdem er ein Gasthaus in der Villinger Innenstadt verlassen hat, verliert sich seine Spur. Die Familie meldet den 61-Jährigen als vermisst. 

Brünker: "Als die Nachricht kam, dass mein Vater nicht mehr da ist, läuteten alle Alarmglocken. Meine Familie, hauptsächlich meine Schwester und ich sind losgezogen. Wir haben sofort angefangen zu suchen. Am ersten Weihnachtsfeiertag habe ich nachts beschlossen, meine Social-Media-Kanäle mit einzubeziehen und eine Suchaktion zu initiieren. Ich wusste, wenn ich das jetzt veröffentliche, dann geht es durch ganz Deutschland. Ich wollte einfach nur meinen Vater wiederhaben."

Wie war das Feedback?

Brünker: "Das war immens. Ich hatte mit vielleicht 50-60 Leuten gerechnet, die sich an einer solchen Suchaktion beteiligen würden. Es war der zweite Weihnachtsfeiertag. Da sitzen die Menschen normalerweise zuhause bei ihren Familien. Aber es kamen fast 450 Leute. Das waren Freunde von meinem Vater, alte Fußballkameraden, alte Nachbarn, Bekannte, Familien, Fußballkollegen von mir. Es waren sogar Teamkollegen aus Magdeburg vor Ort. Diese Solidarität hat mich enorm beeindruckt. Wenn ich jetzt daran denke, kriege ich gleich Gänsehaut. Ich spürte, wie viele Menschen meinen Vater lieben oder ihn mochten.“

Doch die Suchaktion bleibt erfolglos. Auch in den nächsten Tagen durchkämmt die Polizei mehrere Gebiete, Beamte laufen den Fluss Brigach an beiden Ufern zu Fuß ab, ein Suchhubschrauber fliegt das Gebiet mit einer Wärmebildkamera ab. Aber Dirk Brünker bleibt verschwunden. Sohn Kai befindet sich innerlich "wie unter Dauerstrom".

Brünker: "Im Nachhinein muss ich sagen, dass ich mich da auch teilweise verrannt habe. Ich merkte, dass das sehr an die Substanz, an die Psyche ging. Meine Freundin merkte das und fragte, ob wir nicht doch wieder zurück nach Magdeburg sollten. Wir hatten alles getan, was in unserer Macht stand. Wir mussten der Polizei die Arbeit überlassen. Außerdem standen einige Termine wie ärztliche Untersuchungen oder Impfungen für unsere Tochter an. Also haben wir beschlossen, wieder nach Magdeburg zu gehen."

Konnten Sie sich überhaupt vorstellen, wieder Fußball zu spielen?

Brünker: "Ganz ehrlich: In dieser Zeit hatte ich keine Gedanken an Fußball. Ich wollte einfach nur meinen Vater finden. Aber als ich dann das erste Mal wieder auf dem Trainingsplatz stand und in der Kabine war, merkte ich, wie die Jungs zu mir sind. Sie waren so klasse und hatten ein solches Feingefühl. Sie haben genau beobachtet. Wenn ich nicht so gut drauf war, haben sie mich in Ruhe gelassen. Andererseits haben sie mich dann zu einer Runde Uno animiert. Dadurch kam ich auf andere Gedanken und wurde abgelenkt. Sie haben sich toll um mich gekümmert und mich aufgefangen. Ich bin sehr froh, Teil dieser Mannschaft zu sein. Und auf dem Platz zu stehen, hat sich auch sehr gut angefühlt."

Wer hat Sie noch unterstützt?

Brünker: "Ich habe mir keine professionelle Hilfe bei einem Psychologen oder so geholt. Ich stand und stehe täglich im Kontakt mit meiner Mutter und mit meiner Schwester. Wir reden sehr viel. Ich spreche auch viel mit meiner Freundin darüber. Mir hat es auch gutgetan, mit Bekannten oder Freunden zu sprechen. Das Leben geht ja weiter. Ich habe eine Familie und eine kleine Tochter. Es macht keinen Sinn, wenn ich den Kopf in den Sand stecke."

Wie hat Ihnen die Vereinsführung geholfen?

Brünker: "Das Trainerteam und die Vereinsführung haben mich immer unterstützt. Das finde ich nicht selbstverständlich, dass ich für eine gewisse Zeit vom Training freigestellt wurde. Gerade mit Coach Christian Titz und Geschäftsführer Otmar Schork stand ich viel in Kontakt. Sie haben mir immer gesagt, ich solle mir so viel Zeit lassen, wie ich brauche. Das rechne ich ihnen hoch an."

Vor dem Rückrundenauftaktspiel bei Fortuna Düsseldorf Ende Januar fragt ihn der Trainer, ob er sich zutraue, im Kader zu stehen. Das Verschwinden seines Vaters liegt gut vier Wochen zurück. Der Profi telefoniert mit seiner Mutter. Sie sind sich sicher, dass Vater Dirk Brünker sagen würde: Kollege, fahr mit und spiel Fußball.

Wie ist es Ihnen in der Düsseldorfer Arena ergangen?

Brünker: "Es war sehr emotional, als ich dort in dem Stadion stand. Ich spiele seit meinem dritten Lebensjahr Fußball, mein Vater hat mir das Ganze beigebracht. Er war früher in der Jugend mein Trainer. Wenn ich an Fußball denke, dann denke ich gleichzeitig an meinen Vater. Als ich dann auch noch ein Spruchband von unseren Fans sah, wurde bei mir nach dem Spiel der Knopf für die Tränendrüse betätigt. Das war eine hochemotionale Sache."

Brünker wird in der Nachspielzeit vom Trainer eingewechselt - unter tosendem Applaus. Auf dem Banner der mitgereisten Magdeburger Fans steht: "Stark bleiben, Panzer". Brünker spielt also wieder. Doch wenn er zur Ruhe kommt, kreisen seine Gedanken weiterhin intensiv um seinen verschwundenen Vater. Er recherchiert viel und liest über andere Vermisstenfälle in Deutschland.

Brünker: "Es ist erstaunlich, wie viele Menschen in Deutschland vermisst und teilweise gar nicht mehr gefunden werden. Dieses Gefühl, wenn du gar nichts weißt, dieses Ungewisse - das frisst dich von innen auf. Du stellst dir irgendwelche Szenarien vor. Manchmal denkst du, du hättest ein Muster gefunden. Das oder das muss passiert sein, der oder der hat ihn verschleppt. Da kommen Sachen in deinem Kopf zustande, du reimst dir irgendwas zusammen, und das macht dich einfach kirre. Das macht dich verrückt.“

Am 9. März 2023, 77 Tage nachdem Dirk Brünker spurlos verschwunden ist,
entdecken Spaziergänger eine Leiche am Ufer der Brigach in Donaueschingen. Die Kleidung deutet darauf hin, dass es sich um den Vermissten handelt, auch sein Ausweis wird gefunden. Der DNA-Abgleich bringt die endgültige Bestätigung. Ein Gewaltverbrechen schließt die Polizei aus, sie geht von einem Unfall aus. Wo und wie Dirk Brünker verunglückt ist, bleibt ungeklärt.

Kurz darauf schreibt Sohn Kai auf Instagram: "Es fühlt sich an, als würde ein riesengroßer Ballast von uns abfallen. Der Schmerz sitzt sehr tief, doch es wird Ruhe einkehren." Einige Fragen sind beantwortet.

Brünker: "Aber es gibt tausend neue: Wie ist es passiert? Warum? Wo? Es tauchen die nächsten Fragen auf. Auf der einen Seite bin ich froh, dass er gefunden wurde, aber auf der anderen Seite will ich wissen, was genau passiert ist. Dieses Nichtwissen beschäftigt mich weiterhin. Der Mensch will wissen, was passiert ist. Das liegt in uns drin."

Auch wenn viele Fragen bleiben: Ist es trotzdem eine kleine Erleichterung, dass Ihr Vater gefunden wurde und man so einen Ort des Trauerns hat?

Brünker: "Ja, das hilft erst mal. Wir haben keine typische Beerdigung gemacht, sondern eher eine "Verabschiedung" organisiert. An diesem schönen Ort konnten die Menschen an den Sarg hintreten und sich verabschieden. Meine Mutter, meine Schwester und ich wollten zu diesem Zeitpunkt keine Beileidsbekundungen. Die Urnenbestattung fand dann in Villingen im engsten Kreis statt."

Wie sehr vermissen Sie Ihren Vater?

Brünker: "Ich vermisse ihn extrem. Ich vermisse unsere scheinbar belanglosen Gespräche am Mittag, wenn er anrief. Ich vermisse jedes Telefonat vor jedem Fußballspiel, wenn er sagte: 'Heute hauste einen rein' oder 'Ich wünsche dir ein gutes Spiel'. Er hat mich mein ganzes Fußballleben unterstützt, er hat mir gut zugesprochen und mich zu diesem Menschen gemacht, der ich heute bin."



Wie hat sich nach diesen Erfahrungen Ihr Blick aufs Leben verändert?

Brünker: "Letztendlich ist das Wichtigste, dass alle gesund sind. Dass man jeden Tag aufs Neue das ausüben kann, was einem großen Spaß macht und dass man jeden Tag die Leute sehen kann, die man über alles liebt."

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