Es hat etwas Symbolisches. Claus Vogt sitzt in einer Loge der menschenleeren Mercedes-Benz-Arena und spricht über die Entwicklungen rund um den Profifußball. In seinem Rücken: die Business-Plätze. Zu seiner Rechten: die berühmte Cannstatter Kurve, in der unter normalen Umständen der harte Kern der Fans für Stimmung sorgt.
Vogt fühlt sich den Vertretern beider Bereiche zugehörig. Nicht erst seit seiner Wahl zum Präsidenten des VfB Stuttgart am 15. Dezember 2019 versucht er, sie näher zusammenzubringen. Und in den aktuellen Zeiten coronabedingter Geisterspiele fehlen sie ihm.
"Haben gemeinsam viel erreicht"
"Wir haben gemeinsam viel erreicht", sagt Vogt über sein erstes Jahr als VfB-Oberhaupt: "Wir sind mit der 1. und 2. Mannschaft aufgestiegen, haben endlich wieder Kontinuität im Verein, spielen einen attraktiven Fußball."
In der Führung passt es
Sportdirektor Sven Mislintat mache einen "sehr guten Job", genau wie Vorstandschef Thomas Hitzlsperger und die gesamte sportliche Führung. "Warum sollten wir da etwas ändern?", fragt der 51-Jährige.
Auch bei den Plänen zur Gründung einer Frauenfußball-Abteilung wisse man "im Frühjahr hoffentlich, wie wir es dann machen" und mit alldem dürfe man "sehr zufrieden sein".
"Corona hält uns auf Trab"
Und doch ist Vogt längst nicht frei von Sorgen. Kaum hatte der gebürtige Schwabe seine Arbeit beim VfB begonnen, brach die Pandemie über den Profifußball herein. Und auch die Stuttgarter trifft sie hart. "Corona hält uns auf Trab, aber Corona hält uns nicht auf", sagte Hitzlsperger kürzlich in einer Videobotschaft.
Finanzielle Sorgen
Auf die Bewilligung eines schon vor mehreren Monaten beantragten KfW-Kredits wartet der Bundesligist jedoch nach wie vor. Zahlreiche Mitarbeiter wurden in Kurzarbeit geschickt. Mindestens 1,5 Millionen Euro verliert der VfB pro Heimspiel. Sollten die Einbußen nicht bald kleiner werden, ist laut des Präsidenten auch ein erneuter Gehaltsverzicht der Spieler "sicher eine Option".
Doch Corona ist nach Vogts Ansicht bei weitem nicht das einzige Problem des Profifußballs. Der Unternehmer nimmt eine zunehmende Entfremdung zwischen Klubs und Fans wahr. "Das Interesse nimmt ab", sagt er: "Seit Monaten hat der Fußball das, was ihn ausmacht, verloren: die Emotionalität."
Und Corona sei "nicht die einzige Ursache dieser Entfremdung, sondern ein Katalysator". Die Entwicklung laufe schon seit Jahren. "Es geht in manchen Bereichen des Profifußballs zu oft nur noch darum, so schnell und so viel wie möglich zu verdienen", sagt Vogt. Jetzt, wo Merchandising-Umsätze gesunken oder Stadien auch in Zeiten der Teilzulassung nicht voll geworden sind, bekämen manche Klubs das eben zu spüren.
"In vielen Bereichen sollte wieder ein Gang runtergefahren werden"
"Gehälter und Ablösen sind zu hoch, Wettbewerbe zu aufgebläht und durch Lostöpfe zu berechenbar, Wochen mit Spielen und TV-Übertragungen zu voll gepackt", klagt Vogt, der 2017 den "FC PlayFair!", einen Verein für Integrität im Profifußball, gründete. "In vielen Bereichen sollte wieder ein Gang runtergefahren werden."
Auch die künftige Verteilung der Fernsehgelder hätte laut Vogt "noch fairer ausfallen" können. Mehr als der neue Verteilerschlüssel stört ihn aber die vorangegangene Debatte darum. "Besonders in schlechten Zeiten zeigt sich der Charakter von Menschen", sagt er: "Es gab nicht wenige, die zu Beginn dieser Krise von Solidarität und Gemeinschaft gesprochen, das später dann aber nicht mit Leben gefüllt haben." Namen nennt er keine.
Auch in der Affäre um die angebliche Weitergabe von Mitgliederdaten an Dritte, die den VfB belastet, tut er das nicht. "Wir hoffen, spätestens im Frühjahr sagen zu können, was Stand der Dinge ist", sagt Vogt dazu.
Will er bei der in den März verschobenen nächsten Versammlung wiedergewählt werden, ist er auf das Vertrauen der Mitglieder angewiesen. Genau wie im vergangenen Dezember. Vor diesem außergewöhnlichen ersten Jahr als VfB-Präsident.