Im November 2017 standen morgens um sechs etwa 25 Beamte vor der Tür von Rolf Härdtner, die Hälfte davon schwer bewaffnet, erinnert er sich. Härdtner ist Vorstandsvorsitzender der Sport-Union Neckarsulm, einem Verein, der unter anderem aus erstklassigen Handballerinnen und Oberliga-Fußballern besteht. Die Beamten haben Härdtners Haus gefilzt, weitere rund 75 Beamte durchsuchten die Privaträume von Spielern, Trainern und Funktionären. Sie beschlagnahmten Unterlagen und Laptops. Der Grund: Die Staatsanwaltschaft Heilbronn ermittelte wegen Sozialversicherungsbetrugs. Es ging um den Zeitraum zwischen 2012 und 2017. Später stellte sich heraus: Die Fußball-Abteilung des Vereins hat bei der Zahlung von Fahrgeld und Übungsleiterpauschalen Steuern und Sozialabgaben nicht abgeführt. Härdtner lag noch im Bett, als ihn die Razzia überraschte - und konnte von da an nächtelang nicht mehr schlafen. "Eine sehr, sehr schmerzhafte Erinnerung, die ich kein zweites Mal erleben möchte", sagt der heute 79-Jährige.
Bargeld im Umschlag: Im Amateurfußball geht es um hohe Summen
Es ist eines von vielen Beispielen, das zeigt: Es geht um viel Geld im Amateurfußball. Aus Hochrechnungen einer gemeinsamen Kooperation des Südwestrundfunk (SWR) mit CORRECTIV und dem Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) geht hervor, dass im deutschen Amateurfußball pro Monat mehr als 100 Millionen Euro in die Taschen von Amateurspielern fließen. Pro Saison sind es mehr als eine Milliarde Euro. Davon werden mutmaßlich 500 Millionen Euro als Schwarzgeld gezahlt. Als Grundlage für die hochgerechneten Ergebnisse diente eine Stichprobe, in die Antworten von 8.085 Amateurfußballern zwischen 18 und 39 Jahren, die bei einer Online-Befragung teilgenommen hatten, eingerechnet wurden. Darunter waren 1529 Befragte aus Baden-Württemberg und 394 aus Rheinland-Pfalz. Es gibt unterschiedliche Varianten, wie Vereine ihren Spielern Geld bezahlen. Der wohl gängigste Weg: Bargeld im Umschlag, ausgehändigt im Vereinsheim.
Sozialversicherungsbetrug: Der Fall der Sport-Union Neckarsulm
Die Sport-Union Neckarsulm nutzte andere Möglichkeiten, ihre Spieler zu bezahlen. "Wir haben Fahrgeld bezahlt für Fahrten, die nicht gemacht worden sind. Man fährt zu zweit zu einem Spiel, aber jeder rechnet Fahrgeld ab", sagt Härdtner. Außerdem habe der Verein Spielern eine Übungsleiterpauschale bezahlt, die nie als Übungsleiter tätig waren. Mit dieser Pauschale können Vereine ihre ehrenamtlich tätigen Ausbilder, Trainer, Dozenten, Pfleger, Erzieher und Künstler entlohnen. 2021 wurde der Steuerfreibetrag von 2.400 Euro auf 3.000 Euro pro Jahr erhöht. Beides, Fahrgeld und Übungsleiterpauschale, waren Wege, Spielern mehr Geld zu bezahlen, ohne Steuern und Sozialabgaben abzuführen. Diese werden laut der Spielordnung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) (siehe § 8 Absatz 2) fällig, wenn Amateurfußballer mindestens 250 Euro pro Monat an Auslagenerstattung oder Aufwandsentschädigung bekommen. Es handelt sich dann um eine abhängige Beschäftigung, die vertraglich zu regeln ist.

Verfahren wurde gegen Zahlung eines sechsstelligen Betrages eingestellt
Um die entstandenen Schäden bei den Sozialversicherungsträgern wiedergutzumachen, hat Härdtner, Bäckermeister und Unternehmer, auf ein Vereinskonto, das als Treuhandkonto dient, 200.000 Euro eingezahlt. Von dort aus werden die Ansprüche bedient. Außerdem hat er 100.000 Euro an mehrere gemeinnützige Organisationen gezahlt. Gegen diese Zahlungen wurde das Verfahren gegen Härdtner rund eineinhalb Jahre nach der Razzia eingestellt. Die wesentlichen Gründe dafür "waren die Tatsache, dass der Beschuldigte bis dahin strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten war und nicht zum eigenen Vorteil, sondern für den Verein gehandelt hatte", heißt es von der Staatsanwaltschaft Heilbronn. Im Zusammenhang mit dem Verfahren habe es außerdem ein Dutzend Ermittlungsverfahren gegen Fußballer und Abteilungsleiter sowie einige gegen Handballerinnen wegen des Vorwurfs der Beihilfe zum Veruntreuen von Arbeitsentgelt gegeben. Sie seien teils mit, teils ohne Auflagen eingestellt worden.
Was die Sport-Union heute anders macht
Die Sport-Union Neckarsulm hat aus dieser Zeit gelernt. Kai Stettner ist inzwischen Geschäftsführer, er kümmert sich auch um die Fehler der vergangenen Jahre. "Es geht jetzt keine Zahlung mehr raus, die wir nicht vorher geprüft haben. Es wird kein Vertrag mehr unterschrieben, den nicht wir vorher gesehen haben, beziehungsweise dann auch unterschrieben haben", sagt Stettner. Bei Neckarsulm gibt es keine mündlichen Absprachen mehr, alles wird schriftlich festgehalten. Der Verein hat Standards geschaffen, die er strikt einhält und kontrolliert.
Doch das kann auch Schwierigkeiten bedeuten. Zum einen ist der bürokratische Aufwand groß. Jeder Sportler ist beispielsweise verpflichtet, ein Fahrtenbuch zu führen. Zum anderen verspürt der Verein auch einen Nachteil im Wettbewerb mit anderen Klubs. "Im Sport geht es generell immer nur um Netto-Summen. Das heißt, die Sportler interessiert in den seltensten Fällen, was dahinter steckt. Und somit müssen wir einigen Sportlern dann sagen: Okay, wir würden dich gerne verpflichten, aber wir können nur das anbieten. Und wenn das nicht reicht, dann kommen wir einfach leider nicht zusammen", erklärt Geschäftsführer Stettner.
Private Unterstützung statt viel Geld
Das heißt nicht, dass der Verein seinen Spielern nichts bezahlt. Die Oberliga-Fußballer haben Amateurverträge, werden als Mini-Jobber geringfügig bezahlt, bekommen also bis zu 450 Euro im Monat. Der Verein zahlt die fälligen Steuern und Sozialabgaben. Aber im Amateurfußball gebe es genug Vereine, auch unterklassige, die besser bezahlen würden, sagt Härdtner.
Die Sport-Union versucht deshalb mittlerweile, ihre Spieler anderweitig zu unterstützen: bei der Wohnungssuche, der Suche nach einem Studien- oder Arbeitsplatz. "Da haben wir dann einen kleinen Vorsprung gegenüber anderen", sagt er. Seit 2016 spielen die Neckarsulmer in der Oberliga. Auch wenn sie aktuell auf dem 14. Platz stehen, sagt Härdtner: "Wir bringen viel sportlichen Erfolg zu Stande. Und wir sind stolz, heute sagen zu können: Bei uns geht es ganz, ganz legal zu."