Hintergrund

Nach der Frauen-EM: Gibt es einen Ansturm auf die Vereine?

Stand
Autor/in
Leon Sander

DFB-Präsident Bernd Neuendorf berichtet über einen Ansturm von Mädchen und Frauen auf Fußballvereine - ausgelöst durch die EM im Sommer 2022. SWR Sport hat bei den Klubs im Südwesten nachgefragt. Die fragen sich, wo der bleibt.

Die Vereine werden von Spielerinnen überrannt. Das war die Botschaft von DFB-Präsident Bernd Neuendorf auf dem Sportbusinesskongress in Düsseldorf Mitte September: "Wir registrieren nach der Frauen-EM, bei der das deutsche Team Rang zwei belegte, einen Zulauf bei Mädchen und Frauen, aber wir können ihn gar nicht auffangen". Und weiter: "Wir haben zu wenige Plätze und Kapazitäten, um die Flut an Neuanmeldungen zu bedienen." Neuendorf erklärte: "Deshalb haben wir die Situation, dass Kinder und Jugendliche – gerade in Ballungsräumen – abgewiesen werden."

DFB-Präsident Bernd Neuendorf spricht auf dem Sportbusinesskongress in Düsseldorf
DFB-Präsident Bernd Neuendorf spricht auf dem Sportbusinesskongress in Düsseldorf

SWR Sport hat die Vereine im Südwesten gefragt, wie es an der Basis aussieht: In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, in Städten und auf dem Land sowie bei großen und kleinen Vereinen. Die Antworten zeigen ein anderes Bild.

Kommt die Flut an Neuanmeldungen?

Unsere erste Station sind die Verbände. Sowohl beim Südbadischen (SBFV) als auch beim Württembergischen Fußballverband (wfv) haben sie nichts von einem Ansturm oder von Abweisungen gehört. Heiner Baumeister, der Pressesprecher des wfv, sagt: "Ich habe keine Kenntnis, dass in Vereinen Mädchen abgewiesen wurden." Die genauen Mitgliederzahlen wären erst in ca. einem Vierteljahr verfügbar, aber von einem Ansturm wisse er nichts.

Also versuchen wir es eine Ebene tiefer bei den Vereinen. Auch wenn die Situationen der Klubs unterschiedlich sind, bei einem sind sie sich einig: Eine "Flut an Neuanmeldungen" gibt es im Südwesten nicht.

Kinder und Jugendliche werden kaum abgewiesen

Nur einer der befragten Vereine musste Spielerinnen abweisen: Der VfB Stuttgart. Das sei aber ein Sonderfall, sagt uns die Abteilungsleiterin Frauenfußball Oriana D'Aleo. Diese Saison ist der VfB in den Frauenfußball eingestiegen, vergangen Saison wurde eine gemeinsame Abteilung mit dem VfB Obertürkheim gegründet. Schon damals konnte man nicht alle Mädchen aufnehmen. "Es ist ein höherer Drang da wegen dem VfB. Nach der EM kamen aber schon noch mehr", so D'Aleo.

Oriana D'Aleo und Claus Vogt stehen Arm in Arm und lachen
Anteilungsleiterin Oriana D'Aleo neben VfB-Präsident Claus Vogt

Ebenfalls ein Sonderfall ist der SC Freiburg. Die Juniorinnen des Bundesligisten haben feste Kader und nehmen deswegen nur gezielt Spielerinnen auf. Beim SCF kann man nur in das Perspektivteam einsteigen, ein zusätzliches Training für Talente aus der Region. Die Kapazitäten für Neuzugänge seien vorhanden.

Kein Ansturm, dafür ein Zulauf

Vor Corona waren die Zahlen von Vereinsmitgliedern rückläufig, nicht nur bei Frauen und Mädchen. Doch schon in der vergangenen Saison waren die Erstregistrierungen bei den Juniorinnen höher als in den Vor-Corona-Saisons. Sowohl in Baden-Württemberg als auch in Rheinland-Pfalz. So scheint es nach der EM auch bei den kleineren Vereinen weiterzugehen. Viele berichten uns von moderaten Zuläufen.

So konnte der ehemalige Bundesligist VfL Sindelfingen diese Saison eine D-Jugend einführen. Vorstand Josef Klaffschenkel dazu: "Seit der EM haben wir fünf, sechs neue Mädels. Meist ganz neue, die noch nirgends gespielt haben."

Dasselbe erzählt Katherina Sternitzke. Sie ist die Jugendleiterin der SG Andernach aus der 2. Bundesliga. Zum ersten Mal nach dem Corona-Loch konnte Andernach wieder eine D-Jugend melden. Dennoch sagt Sternitzke: "Es ist weit davon weg, dass es ein Hype ist. Ein dezenter Anstieg, aber kein Hype."

Die B-Juniorinnen der SG Andernach bilden einen Spielerinnenkreis
Die B-Juniorinnen der SG Andernach der Saison 2021/2022

Die Ballungsräume profitieren

Der TSV Schott Mainz hat diese Saison eine Kooperation mit dem 1. FSV Mainz 05 gestartet. Man habe grob fünf Prozent mehr Neuanmeldungen, vor allem bei den Jüngeren. Ob es an der EM oder an der Kooperation liegt, wisse man nicht.

Der TSV Alemannia Freiburg-Zähringen hatte einen enormen Zuwachs. Jede Woche kämen 15 bis 20 Anfragen von Frauen und Männern rein. "Die EM hatte darauf Einfluss", glaubt Jugendleiter Jens Winkler.

Ähnlich sieht es in Karlsruhe aus. Der FSSV Karlsruhe hatte seit Jahrzehnten eine Hobbymannschaft, die Freundschaftsspiele austrug. In der Vorsaison konnten sie zum ersten Mal eine 9er-Mannschaft zum Spielbetrieb anmelden. Seit der EM stehen dem Team an Spieltagen nun 26 Spielerinnen zur Verfügung. Abteilungsleiter Florian Rauch sieht die EM als Hauptgrund: "Mit etwas Anstoß war's ein Selbstläufer."

Der Ansturm verläuft sich auf dem Land

Eine seltene Ausnahme in den Ballungszentren ist der Karlsruher FV, der seine Verbandsligamannschaft abmelden musste. Ansonsten hören wir aus den Städten und Einzugsgebieten fast nur positive Stimmen. Bis aufs Land reichen die Zuläufe aber meist nicht.

Der VfL Herrenberg spielt in der Regionalliga und sieht sich gut aufgestellt. Dennoch merkt Abteilungsleiter Fußball Markus Rühle von einem Zugewinn nicht viel. In allen Mannschaften kämen ein, zwei Spielerinnen dazu, aber ein Boom sei das sicher nicht. Wie der DFB-Präsident zu einer Aussage kommt, wisse Rühle nicht: "Bei uns boomt die Sparte generell, aber das da aufgrund der EM plötzlich 20 Mädchen dastehen, das ist nicht passiert."

Der VfL bemüht sich sehr um Nachwuchs und versucht, über Aktionen Spielerinnen zu gewinnen. Allerdings mit wenig Erfolg: "Wir waren in der Schule, selbst da ist keine geblieben." In der Jugend muss Herrenberg auf Spielgemeinschaften setzen.

"Also hier im Land ist nichts!"

Regelrecht frustriert ist Maria Breuer. Die ehemalige deutsche Meisterin und Nationalspielerin ist die Abteilungsleiterin der TuS Wörrstadt, dem ersten deutschen Frauenmeister überhaupt. "Ich weiß ja nicht, wo der DFB-Präsident diese Euphorie hergeholt hat", so Breuer: "Also hier oben im Land, in Mainz und Umgebung, ist nichts."

Die nahegelegene Konkurrenz sei zu groß: "Im Umfeld von 40 km sind vier Regionalligisten. Und die anderen sind im Umfeld der Städte." Dort könne man mit der Straßenbahn anreisen, auf dem Lande würde es den Familien und dem Verein zusehends schwer fallen, die Benzinpreise zu zahlen.

Breuer: Jüngere "wollen schnuppern"

Allerdings sagt Beuer, dass sich junge Mädchen – "Sieben-, Acht-, Neun-jährige" - nach der EM mehr für Fußball interessieren würden: "Die Jüngeren wollen schnuppern." Je älter die Spielerinnen werden, desto mehr nimmt der Zulauf allerdings ab: "14-Jährige lernen das Fußballspielen nicht mehr." Bei der U17 muss Wörrstadt eine 9er-Mannschaft stellen: "Da kriegen wir keine 11 Spielerinnen zusammen. Und wir nennen uns Regionalligist."

Dieses Bild bestätigen viele Vereine. Beim ASV Hagsfeld aus Karlsruhe gab es laut E-Jugend-Trainer Jona Stieler einen großen Zulauf bei den ganz Jungen; und das schon vor der EM. Die Bambinis sowie die F- und E-Jugend wären mehr geworden. Weiter oben würden die Zahlen schrittweise abnehmen. Bei den 14- oder 15-Jährigen gäbe es keine Zugewinne mehr. Stieler meint, die EM würde Mädchen mehr motivieren als Teenager: "Kinder nehmen sich eher noch Vorbilder als Jugendliche."

Die Mädchen-E-Jugend des ASV Hagsfeld bildet einen Spielerinnenkreis
Die E-Jugend des ASV Hagsfeld

Bei den Frauen des Karlsruher SC macht sich das bemerkbar. Dort geht es erst mit der U16 los. "Bei uns ist noch nichts angekommen", sagt Abteilungsleiterin Sandra Ernst: "Das betrifft eher die E- oder F-Jugend." Einen leichten Aufschwung registriert sie trotzdem: "Aber das Interesse merkt man. Die Leute informieren sich erstmal."

"Wenn der Hype weiter geht, wird’s eng."

Bisher mussten die Vereine kaum Spielerinnen abweisen. Das könnte sich bald ändern. "Wenn der Hype weiter geht, wird’s eng," sagt Jens Winkler von Alemannia Zähringen. Das spiegelt die meisten Aussagen der Vereine wider. Die größten Probleme: Plätze und ganz besonders Trainer. Zähringen fehlt für die Zukunft beides.

Auch die großen Vereine sind am Limit. Selbst dem VfB Stuttgart gehen die Spielorte aus, wie Oriana D’Aleo beschreibt: "Infrastruktur dauert. Die Plätze gehören der Stadt Stuttgart. Trotzdem muss auch der Verein, Obertürkheim, was selbst finanzieren." Beim KSC wären Kabinen und Plätze vorhanden, dort fehlt es am anderen Ende, sagt Abteilungsleiterin Ernst: "Das Finanzielle wäre gar nicht das Problem, sondern Personal - Trainer und Betreuer." Es sei schwierig, qualifizierte Trainer zu bekommen. Es gäbe schlichtweg zu wenige.

Auch Bodo Heinemann von der SG Andernach sagt: "Wir sind dicht. Wir müssen unsere Ressourcen teilen. Das gibt die Platzanlage nicht mehr her. Wir konkurrieren halt auch mit Männern und Jungen." Trainer und Betreuer würden sie als Zweitligist allerdings gut bekommen. Zulasten der kleineren Vereine. Markus Rühle vom VfL Herrenberg sagt: "Das die Amateurvereine keinen Trainer aus dem Hut zaubern, das ist ja logisch. Wir würden auf die Eltern bauen."

Der Präsident übertreibt und liegt trotzdem goldrichtig

Die Aussagen des DFB-Präsidenten haben die Vereine im Südwesten nur bedingt bestätigt. Eine Flut an Anmeldungen gab es nicht, ebenso wenig wie Abweisungen. Dafür spüren die meisten Vereine einen Zulauf, wenn auch nur in den Ballungszentren und bei den Mädchen. Dennoch wird Neuendorfs Aussage, "wir haben zu wenig Plätze und Kapazitäten", eintreffen, wenn in Zukunft nicht in den Frauenfußball investiert wird. Das scheint der DFB-Präsident erkannt zu haben.

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