Der Stolz ist Ernst Tanner deutlich anzusehen. Der ehemalige sportliche Leiter und Geschäftsführer der TSG Hoffenheim hat vor gut zwei Wochen mit Philadelphia Union als bestem Team der regulären Saison den "Supporters' Shield" der amerikanischen Fußball-Liga Major League Soccer (MLS) gewonnen. Der erste Titel in der zehnjährigen Vereinshistorie von Philadelphia Union.
"Ein Riesenerfolg"
"Das ist für uns ein Riesenerfolg", sagt Tanner, der seit 2018 Sportdirektor bei Philadelphia Union ist, im Gespräch mit SWR Sport kurz vor dem Start der MLS-Playoffs. "Wenn man bedenkt, dass wir im Grunde immer zu den Vereinen gehören, die am wenigsten investieren, ist es eigentlich auch ein Stück weit unerwartet und unnormal, dass wir das Supporters' Shield holen."

Ex-Lauterer Przybylko und Ex-Sandhäuser Wooten spielen in Philadelphia
Neben Ernst Tanner ist noch Oka Nikolov, der ehemalige Torwart von Eintracht Frankfurt, in Philadelphia als Co-Trainer aktiv und auch auf dem Platz stehen mit dem Ex-Lauterer Kacper Przybylko, dem Ex-Sandhäuser Andrew Wooten und dem gebürtigen Geislinger Kai Wagner, der früher auch für den SSV Ulm aufgelaufen ist, bekannte Gesichter auf dem Platz.
"Das ist ein wesentlicher Bestandteil unseres Erfolgs, weil die natürlich schon eine europäische Mentalität mitbringen", sagt Ernst Tanner: "Auch im Training immer Vollgas geben und dadurch eigentlich gar nicht zulassen, dass irgendein Schlendrian einkehrt und dafür bin ich ihnen auch sehr dankbar." Denn die Mentalität in der MLS sei ansonsten eine andere und Aggresivität und Fouls im Training "relativ unnormal", sagt Tanner. Das müsse man aber reinbringen, um auch entsprechende Reize im Training zu setzen, so der 54-Jährige.
Auch Kai Wagner fühlt sich in der MLS super aufgehoben. "Da hat sich mächtig was entwickelt, das technische Können der Spieler ist enorm gestiegen", sagte Wagner der "Stuttgarter Zeitung". Vom Niveau sei die MLS mit der Zweitligaspitze in Deutschland zu vergleichen. "Die Topteams könnten auch mit dem unterem Drittel der Bundesliga mithalten."
Ernst Tanner: Das Playoff-System hat seinen Reiz
Ein Unterschied zum europäischen Fußball ist allerdings, dass Philadelphia als bestes Team der (regulären) Saison nicht automatisch amerikanischer Meister wird, sondern sich erst in den Playoffs durchsetzen muss. Ernst Tanner hat sich an diesen Unterschied bereits gut gewöhnt: "Das Playoff-System ist Bestandteil der amerikanischen Kultur und die Amis lieben Playoffs über alles." Das K.o.-Format hat auch für Tanner einen besonderen Reiz, auch wenn die starke Saison von Philadelphia in den Playoffs in jeder Partie auf dem Spiel steht. "Gerade jetzt geht es halt in jedem Spiel immer um alles."
Nach dem ersten Playoff-Sieg der Klubgeschichte im vergangenen Jahr (4:3 nach Verlängerung gegen New York Red Bulls) habe es Jubelszenen wie nach dem Gewinn einer Meisterschaft gegeben, erzählt Tanner. "Da geht es richtig zur Sache." Als bestes Team der regulären Saison hat Philadelphia in diesem Jahr in den Playoffs theoretisch auch bis zum Endspiel um den MLS-Cup Heimrecht.
Beim ersten Playoff-Spiel von Philadelphia gegen New England Revolution in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch erwartet Tanner auch trotz Corona ein paar Zuschauer. "Wir sind im Moment leider nur bei einer Auslastung von 15 Prozent." In Philadelphia sind das knapp 3000 Zuschauer. Aber das sei besser als gar keine, sagt Tanner: "Die Zahlen gehen natürlich hier auch wieder hoch, aber es wir hier ein bisschen besonnener damit umgegangen und auch immer regional gehandelt und entschieden."
"Bubble" in Florida im Sommer wie "Täglich grüßt das Murmeltier"
Das "MLS-is-back-Turnier" im Sommer, das ähnlich wie die Playoffs in der nordamerikanischen Basketball-Liga NBA als "Blase" im Disney World in Florida ausgetragen wurde, war für Tanner aber am "Rande der Zumutbarkeit. Ich bin mir vorgekommen wie in dem Film 'Täglich grüßt das Murmeltier'. Außer Training, Essen und natürlich der täglichen Arbeit war da nicht viel von Disney zu sehen".
Sechs Wochen war Philadelphia Union in der "Bubble". "Das ist kein Leben", sagt Tanner, der so etwas nicht nochmal erleben möchte. Das Aus im Halbfinale des MLS-is-back-Cup gegen den späteren Sieger Portland Timbres war da schon eine kleine Erleichterung: "Wir haben immer gescherzt: Was ist jetzt besser? Wenn wir ausscheiden oder noch eine Woche bleiben müssen und das Finale spielen?", lacht Tanner.
In den Playoffs hatten Tanner und Philadelphia aber Großes vor. "Wir hoffen natürlich schon, dass wir möglichst weitkommen", sagt Tanner. Natürlich sei auch die Meisterschaft das Ziel, nachdem die Union die reguläre Saison als bestes Team beenden konnte. "Es wäre für mich persönlich auch recht gut", lacht Tanner. Vor seiner Verpflichtung 2018 habe der Eigentümer der Union angekündigt, dass sie in Philadelphia keine Meisterschaft gemeinsam gewinnen werden. "Ich habe dann gesagt: Schau'n mir mal", so der gebürtige Bayer. "Von daher gibt es ein bisschen was zu beweisen."