"Fußball ist ein Spiegel der Gesellschaft" ist ein Satz, der im Zusammenhang mit Fans im Stadion häufig zu hören ist. Gemeint ist, dass sich bei Fußballspielen Menschen aus allen Gesellschaftsschichten finden.
Die Anfänge: 20er bis 50er-Jahre
Zum Massenphänomen werden Fußballspiele aber erst in den 1920 und 30er-Jahren, als sich ein regelrechter Fan-Tourismus entwickelt. Vor allem bei nahegelegenen Auswärtsspielen reisen viele Anhänger der eigenen Mannschaft hinterher. Zu den Finalspielen um die Deutsche Meisterschaft pilgern bereits in den 20er-Jahren über 50.000 Zuschauer, 1931 drängen sich gar 70.000 Zuschauer in die Gelsenkirchener Glückauf-Kampfbahn, um die Partie der Schalker gegen Fortuna Düsseldorf zu sehen - ein Freundschaftsspiel.

Fans und Spieler sind in dieser Zeit eng verbunden. Die Stars der eigenen Lieblingsmannschaft abends im Vereinslokal treffen - was heute unvorstellbar klingt, ist damals nicht ungewöhnlich. Und auch während der Partie sind die Zuschauer nah an ihren Helden, man steht und sitzt direkt am Spielfeldrand oder hinter dem Tor. Dem Publikum fällt die Identifikation mit der Mannschaft auf dem Platz dementsprechend leicht. Schließlich besucht man die gleichen Gaststätten, geht den gleichen Berufen nach und steht vielleicht sogar gemeinsam im Stadion - die einen auf, die anderen direkt neben dem Rasen.
Viel Gewalt und noch mehr Jeansstoff: Die 60er, 70er und 80er-Jahre
Fangesänge - in Corona-Zeiten fehlen sie - selbst vor dem Fernseher, weil sie aus dem Stadion kaum wegzudenken sind. Gesangliche Unterstützung bekommen die Spieler vermehrt erst ab den 60er und 70er-Jahren, als sich die Atmosphäre im Stadion zunehmend verändert. Und auch an den Stadien selbst werden vor der Heim-WM 1974 Änderungen vorgenommen. Das Publikum ist nun deutlich weiter vom Spielfeld entfernt, junge Fans stellen sich in die Kurven hinter dem Tor. Dort zeigen sie ihre Clubzugehörigkeit mithilfe von Schals und Fahnen in den Farben ihres Vereins - und mithilfe der Kutten; Jeanswesten, die mit Vereinsaufnähern geschmückt werden. Die Kutten prägen eine ganze Generation Fußballfans, auch heute sind sie noch in Stadien zu finden. Manch ein Anhänger spricht gar vom Fußballverein als Lebensinhalt, so groß ist die Identifikation der Kuttenfans mit ihrem Verein.
Es gibt Fans, die nichts wollen, als einen Traditionsclub vor dem Abstieg zu bewahren. Bei mir ist das jetzt alles ein paar Jahre her. Mittlerweile ist der FCK wie eine Familie für mich geworden. Ich brauche ihn, es ist mein Lebensinhalt.
Für andere Stadionbesucher steht zu dieser Zeit die Gewalt im Mittelpunkt - die Hooligans etablieren sich bei fast allen Vereinen in Deutschland. Vor, während und nach dem Spiel suchen sie den Kampf mit gegnerischen Fans und stellen die Polizei vor Probleme, die mit dem Auftreten der extremen Gewalt zunächst überfordert ist. Doch spätestens als 1982 der 16-jährige Werder-Fan Adrian Maleika von Anhängern des Hamburger SV getötet wird, ist allen klar, dass sich dringend etwas ändern muss.
Ultras als Stimmungsmacher - Die 90er-Jahre bis heute
Eine Zeit lang prägen die Hooligans das Bild in deutschen Stadien, doch durch erhöhte Sicherheitsbestimmungen werden die Bilder von Kämpfen auf den Tribünen mit der Zeit seltener. Und junge Fußballfans schauen in den 90er-Jahren nicht mehr nur nach London und Manchester, sondern auch nach Mailand und Neapel. Sie sind begeistert vom farbenfrohen und melodischen Schauspiel in den dortigen Kurven und beginnen, dem italienischen Vorbild nachzueifern. Die Ultra-Kultur erobert daraufhin die deutschen Stadien. Wer heute in ein Bundesligastadion geht, bemerkt die Ultras sofort - zumindest war das bis zur Corona-Pandemie so. Ihre Gesänge werden häufig vom ganzen Stadion mitgetragen, die Unterstützung des eigenen Vereins ist für sie das Wichtigste. Die Stilmittel, derer Ultras sich zu diesem Zweck bedienen, sind abwechslungsreich: Choreographien, Lieder, Fahnen, oder Rauch und Bengalische Feuer. Letztere sorgen immer wieder für Diskussionen in den Fanszenen und Vereinen, zumal der DFB auf ihre Verwendung mit schweren Geldstrafen gegen die entsprechenden Clubs reagiert.
Die deutschen Fankurven sind heute bunt und vielfältig - genauso wie das Publikum selbst. Neben den Ultras mit ihren Trommeln und Fahnen finden sich zahlreiche andere Fans, die sich stolz regelmäßig das Trikot überstreifen und den eigenen Verein nach vorne schreien. In den Arenen tummeln sich aber auch Gelegenheitszuschauer, die sich einfach vom guten Spiel unterhalten lassen wollen, oder Familien, denen der Stadionbesuch als Wochenendausflug dient. Auch Kuttenfans und Hooligans sind nach wie vor Teil der Fanszenen im Stadion - wobei letztere ihre Auseinandersetzungen heute öfter im Wald austragen als auf den Rängen.
Welche Zukunft hat die Fankultur?
So unterschiedlich die verschiedenen Stadiongänger sind, so unterschiedlich ist auch ihr Verständnis von Fankultur - und damit auch von der eigenen Rolle im Profifußball. Während der Gelegenheitsfan nur das bestmögliche Spiel sehen möchte, versuchen Ultras und andere kritische Fans, den Fußball mitzugestalten. Und zwar am liebsten so, dass die Kommerzialisierung nicht noch weiter voranschreitet. Ob ihnen das in Zukunft möglich sein wird und welche Rolle Fans im modernen Fußball spielen können, scheint momentan völlig offen. Es wird vermutlich noch eine ganze Weile viel darüber gesprochen werden - so auch am Sonntag um 22:05 Uhr in SWR Sport Rheinland-Pfalz.