Um 16:35 Uhr klingt es, als würde die Fußballhalle abheben. Nach einem feinen Zuspiel von Alexis Mac Allister drückt Angel di Maria den Ball über Frankreichs Torhüter Hugo Lloris hinweg über die Torlinie - 2:0 für Argentinien. In Fellbach gibt's kein Halten mehr. Der erste WM-Titel seit 1986 scheint für Argentinien zum Greifen nah. Und in Fellbach zittern rund 500 Zuschauer mit.
Argentinische Fußball-Familie Sessa organisiert Public Viewing
Dass die argentinische Gemeinde ausgerechnet in Fellbach zusammenkommt, ist kein Zufall. Die Familie Sessa um die Brüder Dominic, Kevin und Nicolás haben eingeladen. Zum wiederholten Mal während dieser Weltmeisterschaft. Kevin und Nicolás sind selbst Fußballprofis, Kevin Sessa läuft für den 1. FC Heidenheim in der 2. Bundesliga auf, Nicolás Sessa spielt für den SC Verl.
Fussball | WM in Katar Eine fußballverrückte Familie bringt Argentinien nach Fellbach
Argentinien kann am Sonntag (16 Uhr/ARD) gegen Frankreich die WM gewinnen. Die Argentinier Baden-Württembergs treffen sich in Fellbach zum Public Viewing. Wie kamen sie dorthin?
Gelernt haben sie das Fußballspielen in der Fußballhalle "SoccerOlymp" in Fellbach - ihr Vater war dort als Hausmeister angestellt und ermöglichte seinen Söhnen so das Training. Während der WM 2022 dient die Fußballhalle als Public-Viewing-Anlaufstation für die große argentinische Gemeinde in der Region.
Große Hoffnung zur Halbzeit
Zur Halbzeitpause steht es noch immer 2:0. Ein Elfmetertor von Lionel Messi in der 23. Minute und di Marias Treffer zum 2:0 lassen die argentinischen Fans in Fellbach träumen. "Es sieht sehr gut aus", freut sich eine Zuschauerin. Mit ihrem kleinen Sohn auf dem Arm grinst sie in die Kamera. Beide tragen ein Messi-Trikot und haben aufgemalte Argentinien-Flaggen im Gesicht: "Das ist wirklich eine Party. In Argentinien gibt es so viele Probleme mit der Inflation. Das heute ist wirklich eine schöne Überraschung", sagt sie, bevor sie wieder in der Menschenmenge verschwindet. "Es gibt für Argentinien nichts Größeres", ist sich ein weiterer Fußballfan sicher. "Das ist wie die Geburt eines Sohnes."
Es sieht weiter lange gut aus für Argentinien, auch in der zweiten Halbzeit. Argentinien drückt, die französische Offensive findet überhaupt nicht statt. Bis zur 80. Minute schießt Frankreich kein einziges Mal aufs Tor - dann fällt das 1:2. Wie aus dem Nichts taucht Kolo Muani im argentinischen Strafraum auf und wird von Otamendi gefoult. Den fälligen Strafstoß verwandelt Mbappé souverän. Doch damit nicht genug: Nur zwei Minuten später erzielt Mbappé den Ausgleich. Frankreich ist plötzlich obenauf, die argentinische Nationalelf scheint verunsichert - in Fellbach macht sich Fassungslosigkeit breit. Nach 90 Minuten steht es 2:2. Das Spiel geht in die Verlängerung.
Verlängerung wird zum Nervenkrimi
"Ein echter Krimi", bilanziert Veranstalter Dominic Sessa zu Beginn der Verlängerung am SWR-Mikrofon. "Wir hatten es doch schon in der eigenen Hand", meint er. "Ich habe von meiner Oma in Argentinien gehört, dass ein Nachbar sein Haus verkauft hat, um nach Doha fliegen zu können. Ich glaube, es gibt kein leidenschaftlicheres Fußball-Land als Argentinien", erzählt er stolz. Hinter ihm trommeln 500 Fußballverrückte in der Fellbacher Halle. "Das kommt Buenos Aires schon ganz schön nahe", findet Sessa, der die WM-Gruppenphase noch in seiner südamerikanischen Heimat erlebt hatte.
"Messi, Messi"-Sprechchöre in Fellbach
Im WM-Finale schenken sich Frankreich und Argentinien nichts, nach 105 Minuten steht es noch immer 2:2. Doch Argentinien wird besser. Das spüren auch die Fans in Fellbach. "'Argentina, Argentina"-Sprechchöre schallen unentwegt durch die Halle. Und die Gauchos belohnen das treue Publikum im Ländle. In der 109. Minute wird Martinez an der Grundlinie in Szene gesetzt, seinen Abschluss pariert Lloris zwar noch mit einer Weltklasse-Reaktion, doch der Ball fällt Messi vor die Füße. Der siebenmalige Weltfußballer macht aus kurzer Entfernung das 3:2. Argentinien feiert - Fellbach steht Kopf. Aus den "Argentina"-Sprechchören werden "Messi, Messi"-Gesänge.
Sieben Minuten später ist die Party aber schon wieder vorbei. Schon wieder trifft Mbappé per Elfmeter. Das 3:3. Der eingewechselte Montiel hatte einen Mbappé-Abschluss im Strafraum mit dem Ellbogen geblockt - der Strafstoß unstrittig. Alles riecht nach Elfmeterschießen. Zwei Riesenchancen auf beiden Seiten gibt es noch, dann pfeift Schiedsrichter Marciniak Szymon aus Polen ab. "Ich bin am Ende", gibt ein Zuschauer in Fellbach zu Protokoll. Die Entscheidung wird vom Punkt gefällt.
Sieg im Elfmeterschießen - Fellbach feiert
Neun Minuten später tritt Montiel zum Elfmeter an. Es ist der entscheidende. Mbappé hatte den ersten Elfmeter für Frankreich verwandelt, Messi mit seinem letzten Ballkontakt als argentinischer Nationalspieler nachgezogen. Nach Fehlschüssen der Franzosen Coman und Tchouameni und Treffern von Dybala, Paredes und Kolo Muani jetzt also Montiel. Und Montiel trifft. Ekstase pur in Fellbach. "Es ist wunderschön", ruft eine Frau ausgelassen, während sich neben ihr ein Kreis aus tanzenden Menschen bildet. "Es ist ein Traum", ruft ein Argentinier in die Kamera. Dann geht er weitertanzen. Die Nacht in Fellbach dürfte lang werden.