SENDETERMIN Do, 25.10.2018 | 21:00 Uhr | SWR Fernsehen
Unterschätztes Gesundheitsrisiko Einsamkeit macht krank
Der Verlust von Geborgenheit und menschlicher Nähe ist gefährlicher als Alkoholismus oder Fettsucht, das zeigen zahlreiche Studien. Einsamkeit macht krank, aber wo liegen die Ursachen?
Erkrankungsrisiko steigt für sozial Isolierte:
o Herzinfarkt um 29 Prozent
o Schlaganfall um 32 Prozent
o Krebserkrankung um 25 Prozent
o früherer Tod um 30 Prozent
Geborgenheit für Kleinkinder so wichtig wie Essen und Schlafen
Bereits in den 1950er Jahren hatte der Psychiater René A. Spitz in US-amerikanischen Kliniken und Waisenhäusern beobachtet, wie wichtig sozialer Kontakt für Kleinkinder in den ersten Lebensmonaten ist: Kinder, denen in diesem Zeitfenster für einige Monate eine feste Bezugsperson fehlte, zeigten starke körperliche und geistige Entwicklungsschäden.
Ein Drittel der Kinder, die vollständig auf eine feste Bezugsperson verzichten mussten, starb sogar an diesem sozialen Mangel. Geborgenheit und menschliche Nähe sind demnach für Kleinkinder genauso wichtig wie Essen oder Schlafen.
Einsamkeit und Isolation: gefährlicher als Alkoholismus oder Fettsucht
Auch für Erwachsene scheint das zu gelten, denn laut vieler Studien sind Einsamkeit und soziale Isolation gefährlicher als Alkoholismus oder Fettsucht.
2010 hatte die Forschergruppe von Julianne Holt-Lunstad die Ergebnisse von insgesamt 148 Einzelstudien ausgewertet. Das Fazit: Verglichen mit vielen gut untersuchten Gesundheitsrisiken sind soziale Isolation und Einsamkeit das größte Risiko für einen frühen Tod.
Gruppenleben schützte schon in der Vorgeschichte besser vor Gefahren
In der Prähistorie, als Menschen noch ganz unmittelbar dem täglichen Überlebenskampf ausgesetzt waren, lebte man zusammen in kleinen Gruppen. Nur durch die Vorteile einer Gemeinschaft wie zum Beispiel der gemeinsamen Nahrungsbeschaffung oder der gegenseitigen Fürsorge war es möglich, dass Nachkommen das Erwachsenenalter erreichten und die Art erhalten werden konnte. Vor allem bot die Gruppe Schutz vor Gefahren wie zum Beispiel wilden Tieren.
Viele Wissenschaftler gehen deshalb davon aus, dass in dieser Phase der menschlichen Entwicklung ein Mechanismus entstanden ist, der uns in einen Alarmzustand versetzt, sobald wir den Schutz der Gruppe verlieren. Ein Schutzmechanismus, der dann für erhöhte Aufmerksamkeit sorgte und uns in Gefahrensituationen alle Kraftreserven bereitstellte – entweder für einen Kampf oder die Flucht.
Einsame schütten unter Druck mehr Stresshormone aus
Tatsächlich konnte solch ein Mechanismus im Jahr 2007 durch Naomi I. Eisenberger und ihren Mitarbeiter in Los Angeles nachgewiesen werden.
Wer einsam ist, stirbt früher.
Die Wissenschaftler hatten durch ein ausgeklügeltes Protokollverfahren von ihren Probanden genaue Informationen über deren soziale Kontakte zu denjenigen Menschen, die sie als sehr hilfreich für ihr Leben einstuften. Im zweiten Schritt unterzog man diese Studienteilnehmer dem sogenannten Trierer Stresstest, bei dem man deutlich den Anstieg des Stresshormons Cortisol nachweisen kann. Interessanterweise beobachtete man dabei, dass die Teilnehmer mit wenigen Sozialkontakten unter Stress signifikant mehr Cortisol ausschütteten als die Teilnehmer, die viele Sozialkontakte hatten.
Spätere Studien von anderen Forschern konnten sogar nachweisen, dass Menschen, die sich einsam fühlen oder sozial isoliert sind, auch ohne Stresssituationen erhöhte Cortisol-Spiegel haben – also bereits morgens oder abends vor dem Schlafengehen.
Stresshormon Cortisol macht auf Dauer krank
Der dauerhaft erhöhte Cortisol-Spiegel löst in unserem Körper, wie einst in der Prähistorie, ein Notfallprogramm aus. Dieses soll unsere Bereitschaft für Flucht und Angriff aktivieren.
Die Folge:
- Wir schlafen schlechter
- Blutdruck und Blutzucker steigen dauerhaft an
- Das Cortisol fährt andere Körperfunktionen wie zum Beispiel das Immunsystem (es wird in akuten Gefahrensituationen nicht gebraucht) herunter
Solche physiologischen Prozesse, vor allem wenn sie über lange Zeit andauern, bringen in unserer heutigen Welt große gesundheitliche Nachteile mit sich.
In mehreren Studien konnte man mittlerweile den direkten Zusammenhang zwischen sozialer Isolation und dem Anstieg des Risikos für viele Erkrankungen nachweisen.
Soziales Miteinander so wichtig wie Fitnesstraining
Umgekehrt betrachtet zeigten die Studien aber auch. Alles, was wir für unser soziales Miteinander tun, wirkt sich sehr positiv für ein langes Leben aus. Das bedeutet, dass gemeinsame Stunden mindestens genauso gesundheitsfördernd sind wie ein Fitnesstraining.