„The Cure. Heilung aus dem Grab“: Der Mikrobiologe Gerry Quinn am Grab des Priesters im nordirischen Boho. (Foto: Foto: Fabian Federl, Grafik: Deutschlandradio)

Hörtipp: "The Cure - Heilung aus dem Grab"

Aus dem Pub zur WHO: Von multiresistenten Keimen und der Hoffnung auf Heilung

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Matthias Recht

Zwischen Keltenkreuzen und Petrischalen: „The Cure“ erzählt von den Entdeckungen eines eigensinnigen Mikrobiologen. Er behauptet in einem sagenumwobenen Grab die Lösung für eine der aktuell größten gesundheitlichen Bedrohungen der Menschheit gefunden zu haben. Klingt schräg? Es ist unheimlich faszinierend.

Boho, eine kleine Ortschaft in Nordirland. Hier starb vor 200 Jahren ein Priester und Wunderheiler. Seine heilenden Kräfte sollen in der Erde seines Grabes fortwähren – so die Sage. Nachdem auch Wissenschaftler antibiotische Stoffe in der Graberde nachweisen können, wird der Ort erneut zur Pilgerstätte. Diesmal nicht für Gläubige, sondern für internationale Medien und mit Vorratsdosen ausgestattete Menschenmengen.
Legende und wissenschaftliche Erkenntnis bestätigen sich scheinbar gegenseitig. Mit diesem Einstieg hat mich der Podcast bereits in seinen Bann gezogen.

„Die wohl seltsamste Geschichte, die ich als Reporter jemals gehört habe“

Einen der Forschenden lässt dieser Fund nie wieder los. Gerry Quinn, Mikrobiologe. Seine Überzeugung: Der Fund - die Bakterienart Streptomyces - ist die Grundlage für die Bekämpfung einer der größten medizinischen Gefahren weltweit: multiresistente Keime. Es ist sein Lebensprojekt. Können Bakterien aus einem heiligen Grab tatsächlich die Rettung sein?

Die Idee: Antibiotische Stoffe, die zur Bekämpfung antibiotikaresistenter Bakterien geeignet sind, liegen in der Erde, in Brunnen oder Höhlen bereits vor. Dorthin folgen die Reporter Fabian Federl und Yannic Hannebohn dem Forscher und Protagonisten des siebenteiligen Podcast „The Cure – Heilung aus dem Grab“. Sie werden Gerry Quinn fortan auf seiner Suche in Laboren und der Umgebung Bohos begleiten, die ihn, soviel sei vorweggenommen, eine Menge Probleme einhandeln wird.

Reisen in die Schweiz und zu den Rändern Europas

Hat sich hier ein Mensch - besessen von einer Idee - verrannt? Ist Gerry Quinn ein Scharlatan? Was ist dran an seiner Theorie? Die Fragen führen die Autoren von McKenzies Pub in Boho - dessen Betreiber gleichzeitig auch Totengräber im Ort ist - zur Weltgesundheitsorganisation WHO in Bern, zu einem Heilungsinstitut in Georgien und zum größten Pharmaunternehmen der Welt in Basel. Von Beginn an, wirkt hier vieles äußerst eigenartig – und fesselnd.

"Stille Pandemie": Hunderttausende Todesfälle pro Jahr

Vor dem Problem, dem sich hier angenommen wird, warnen Expertinnen und Experten seit Jahren – weitestgehend unbeachtet: Es wird auch "Silent Pandemic" also "Stille Pandemie" genannt. Laut der im Podcast zitierten Studie des Fachmagazins „The Lancet“ starben 2019 schätzungsweise 1,2 Millionen Menschen weltweit an einer Infektion mit antibiotikaresistenten Erregern. Tendenz steigend.

Wirkungslose Medikamente und Stillstand in der Forschung

Fabian Federl und Yannic Hannebohn skizzieren die Chronik der Antibiotika-Forschung - angefangen bei der eher zufälligen Entdeckung des Penicillin. Das ist interessant aufbereitete Medizingeschichte. Sie erklären das Dilemma: Die Erforschung neuer Antibiotika-Klassen steht seit 1962 gewissermaßen still.

Peter Beyer von der WHO in Genf spricht von Marktversagen. Während Pharmakonzerne vielfach aus der risikoreichen Forschung aussteigen, haben immer mehr Erreger Resistenzen gegen bestehende und inflationär verwendete Antibiotika aufgebaut - sie wirken nicht mehr.

Betroffener kommt zu Wort

Benjamin Kunath ist seit einer Krankenhausbehandlung betroffen von einer solchen Infektion – mit schwerwiegenden Folgen. Auch er sucht händeringend nach einer wirksamen Behandlung. Dabei begleiten ihn in die Autoren in die georgische Hauptstadt Tiflis. Hier hat eine alte Therapieform überdauert. Kann diese helfen?

Irritierende Gegensätze abseits von Hokus Pokus

In wechselseitiger Betrachtung von wissenschaftlicher Forschung und kulturellen Traditionen - ökonomischen Zwängen und in Vergessenheit geratenen Therapieansätzen erzählen die Autoren in einer faszinierend vielschichtigen Recherche von der gesundheitlichen Bedrohungslage durch multiresistente Keime - von Heilungsversuchen und Forschungs-Hemmnissen.

Es sind gerade diese teils irritierenden Gegensätze - rund um den mal sonderbar, mal unverstanden erscheinenden Forscher Gerry Quinn - die mich beim Hören besonders beeindruckt haben. Unzählige Interviews und Gespräche dokumentieren die Perspektive von Forschenden, Betroffenen und den vor dem Mikrofon reflektierenden Autoren. Geprägt ist dies von kontrastreichen Ortswechseln zwischen Laboren der Pharmaindustrie, Pilgerstätten und Pubs.

Die Abfolgen von intimer Nähe, wissenschaftlicher Einordnung und unkonventioneller Infragestellung erzeugen ein unheimlich spannendes, immer wieder skurriles und atmosphärisch dichtes Hörerlebnis - zu einem der drängendsten, aber wenig beachteten medizinischen Probleme unserer Gegenwart.

Wenn Sie sich für intensive Recherchen und ungewöhnliche Reportagen interessieren, hören Sie mal rein in die sieben Folgen von "The Cure - Heilung aus dem Grab".

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Matthias Recht