Die Anwälte von Beate Zschäpe residieren im noblen Fünf-Sterne-Hotel – und dort fließt der Champagner für sie auch mal gratis. Das ist heute die Titelgeschichte einer Münchner Boulevardzeitung. Für die Anwälte Wolfgang Heer und Anja Sturm bedeutet das: Maximale Aufmerksamkeit – aber wohl auch maximaler Schaden. Denn im Prozess hatten sie in den vergangenen Wochen ihre Linie gefunden, die anfänglich aggressiv-konfrontative Verteidigung war einem vernünftigen Ton gewichen, oft reichten Blicke zwischen dem Vorsitzenden und Rechtsanwalt Wolfgang Heer zur Verständigung, wo es anfangs seitenlange Anträge gehagelt hatte. Nun werden die Schriftsätze der Anwälte wohl eher an die Kempinski-Gruppe gerichtet. Denn es entsteht der Eindruck, als würden die drei auf Kosten des Steuerzahlers in Saus und Braus leben – was wohl so nicht stimmt.
Die Fakten: Die als Pflichtverteidiger beigeordneten Anwälte von Beate Zschäpe haben sich im Hotel „Vier Jahreszeiten“ eingemietet, ein Hotel der Luxusklasse, das gerne das „erste Hotel am Platze“ in München wäre – es aber nach Ansicht von Einheimischen nicht ist. Dort gab es am Dienstagabend eine Sommerparty als PR-Veranstaltung – an der Wolfgang Heer und Anja Sturm als Gäste des Hauses teilgenommen haben.
Darüber berichtet nun ausführlich die Münchner Abendzeitung und druckt Fotos der beiden Anwälte, die augenscheinlich mit dem Einverständnis der beiden Juristen aufgenommen worden sind. Dazu berichtet die Zeitung über Gratis-Champagner, die horrenden Zimmerpreise und suggeriert, diese müssten vom Steuerzahler bezahlt werden. Das ist allerdings so nicht richtig: Erstens zahlt das Oberlandesgericht allen Anwälten die Unterkunft nur bis zu bestimmten Höchstsätzen. Wenn das nicht ausreicht – was insbesondere in Messe-Zeiten in München immer mal wieder passiert – müssen die Anwälte morgens längere Anreisen aus der Umgebung von München in Kauf nehmen – oder die Differenz zum tatsächlichen Preis selbst zahlen. Zweitens haben die Anwälte nach meinen Informationen für die Dauer des Prozesses eine Art Rahmenvereinbarung abgeschlossen.
Wie ich aus eigener Erfahrung (in einem weit weniger teuren Hotel) weiss, senken solche Vereinbarungen den Zimmerpreis erheblich – insbesondere in den Messewochen. Es ist also wenig wahrscheinlich, dass die genannten Hotelpreise von bis zu 318 Euro pro Nacht und Person zutreffen. Die Staatskasse wird mit solchen Beträgen aber definitiv nicht belastet. Pikanterweise wird in dem Artikel eine Hotelsprecherin zitiert, die bestätigt, dass die Anwälte im Kempinski gebucht haben. Wenn das Zitat echt ist, hat das „Vier Jahreszeiten“ damit virtuell mindestens drei seiner fünf Sterne verloren. In Vorabend-Krimis kann man zwar lernen, wie man Rezeptionisten in Bahnhofshotels mittels kleinerer Geldscheine zur Preisgabe von Gästenamen bewegen kann. Für gehobenere Hotels galt das bislang eher nicht.
Denn wenn es ein Grundgesetz im Hotelgewerbe gibt, dann, dass man nicht und niemals über seine Gäste spricht, solange es nicht explizit anders vereinbart ist. Erst kürzlich habe ich mir bei einem anderen Fünf-Sterne-Hotel die Zähne ausgebissen, als ich eine Bestätigung für die Anwesenheit eines unter Islamismus-Gesichtspunkten sehr interessanten arabischen Prinzen haben wollte. Mit eiserner Lufthansa-Freundlichkeit wurde mir gesagt: Kein Kommentar. Den Zschäpe-Anwälten kann man jedoch dieses Hotel für die Dauer des Prozesses aufgrund der umständlichen Anreise nicht empfehlen – es liegt in Baden-Baden.
Nicht auszuschließen ist, dass das Kempinski-Hotel knallhart die PR-Wirkung kalkuliert hat: Mediale Aufmerksamkeit gegen einen kleinen Diskretionsbruch. Der Sprung auf die Titelseite der Abendzeitung und der seitenfüllende Artikel im Innenteil über die rauschende Party im Luxushotel dürfte für das Hotel kaum mit Geld zu bezahlen sein. Und in Anbetracht der allgemeinen Stimmung gegen Beate Zschäpe, die für weite Teile der Öffentlichkeit bereits als Täterin feststeht, muss das Hotel auch nicht mit übermäßigem Mitleid für ihre Verteidiger rechnen. Zynisch gesprochen scheint es eine ideale Konstellation, so dass die Mediensprecherin des Kempinski möglicherweise doch nicht völlig dilettantisch, sondern extrem kalkuliert gehandelt haben könnte. Oder wollte man die Anwälte los werden? Auch das wird unter Kollegen diskutiert. Angeblich habe das Hotel zuvor die Anwälte gebeten, keine Interviews im Gebäude zu geben. Auf meine Fragen in dieser Sache wollte das Hotel Vier-Jahreszeiten – bzw die Kempinski-Gruppe nicht Stellung nehmen.
Heute Morgen gab es jedenfalls für Wolfgang Heer und Anja Sturm einen Spießrutenlauf: Wohl jeder Beteiligte hatte die Abendzeitung bereits gelesen oder wedelte mit ihr herum. Oberstaaatsanwalt (BGH) Jochen Weingarten diskutierte den Artikel vor dem Haupteingang mit den Sprecherinnen des Oberlandesgerichts, den Richterinnen Margarethe Nötzel und Andrea Titz. Nebenklägeranwälte plünderten die Zeitungsboxen vor dem Gericht, vereinzelt wurde erwogen, ob man für einen derartigen Artikel Geld in die Box werfen müsse. Auch bei den Wachtmeistern und unter uns Journalisten war der Bericht das Thema des Morgens. Wolfgang Heer erklärte, ob er auf eine Party gehe, sei seine Privatsache. Was prinzipiell sicher richtig ist. Aber der Anwalt der wohl derzeit prominentesten Angeklagten in Deutschland rückt eben auch in das Licht der Öffentlichkeit. Bislang schien das den drei Anwälten auch nicht viel auszumachen. Heute war das anders.
Als Anja Sturm in den Verhandlungssaal kam, lag die Zeitung demonstrativ auf dem Tisch von Ralf Wohllebens Verteidigerin Nicole Schneiders. Sturm und Schneiders sprachen kurz miteinander (nicht gerade üblich) – woraufhin Schneiders die Zeitung so zusammenklappte, dass das Titelbild nicht mehr zu sehen war. Anja Sturm schien wenig amüsiert.
Heute Nacht war sie noch guter Laune: Kurz nach Mitternacht twitterte Anja Sturm unter Verwendung vieler Ausrufezeichen, dass die neue Internetseite ihrer gemeinsamen Kanzlei mit Wolfgang Heer online sei. Vielleicht hatte sie da die Abendzeitung noch nicht gelesen.
schreibt am 1. August 2013 14:53 :
schreibt am 1. August 2013 17:33 :
schreibt am 1. August 2013 20:49 :
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