Es war der Tag der unpassenden Sprache im NSU-Prozess. Zum Auftakt gab sich Staatsanwalt Dr. Gerwin Moldenhauer bei seiner Aussage zum Thema „Vernehmungen des Holger G. vor dem Ermittlungsrichter“ engagiert und als Freund der Anglizismen. Latein scheint beim Generalbundesanwalt den Glanz alter Tage verloren zu haben, heute ist man dort eher „up to date“. Allerdings nicht im Medizinischen. Denn Staatsanwalt Dr. Moldenhauer sprach im Zusammenhang mit seinen schwierigen Vernehmungen von Holger G. von einer „Zangengeburt“, was gleich in mehrerer Hinsicht problematisch ist. Aber immerhin sprach er nicht von hechelnden Opfern.
Eine Geburtszange wird in seltenen, kritischen Situationen von Geburtshelfern bei der Entbindung benutzt. Als „Geburtshelfer“ dürfte sich Dr. Moldenhauer in seiner Rolle als Staatsanwalt aber wohl ebenso wenig verstanden haben, wie Holger G. beabsichtigt haben dürfte, vor der Ermittlungsrichterin niederzukommen (ganz abgesehen davon, dass die ersten Aussagen von Holger G. noch fern der Wahrheit waren – also allenfalls eine Scheinschwangerschaft vorgelegen haben könnte, wenn man bei diesem schiefen Vergleich bleiben möchte).
Aber von mir aus bleiben wir bei dem verunglückten Bild des gebärenden Angeklagten. Dann hat die Zange trotzdem keinen Platz. Denn die klassische Indikation für den selten Einsatz einer Geburtszange sind Erschöpfungszustände der (in diesem Fall dann des) Gebährenden. Selbst wenn man also die Rolle des Staatsanwalts als Geburtshelfer noch durch gehen lassen mag, ist man spätestens bei den Erschöpfungszuständen dort, wo eine Aussage allenfalls endet – und keinesfalls weitergeht, § 136a StPO. Ein Kommentator des Karlsruher Kommentars der StPO weiß das zweifellos. Gemessen am übernächsten Zeugen war diese Sprachverwirrung aber noch ein minder schwerer Fall.
Nach der Mittagspause bekam nämlich der pensionierte Schutzpolizist Karl W. das Wort. Er war einer von zwei Streifenbeamten, die das erste bislang bekannte Opfer des NSU an einer Straße in Nürnberg entdeckte. W. schilderte, wie er zunächst am Morgen Enver Simsek beim Aufbau seines Blumenstandes beobachtet hatte, als er auf dem Weg in den Dienst war. Gegen 15:00 Uhr bekam er dann den Auftrag, nach dem Stand zu schauen. Der Zeuge H., der am Mittwoch befragt wird, hatte sich bei der Polizei gemeldet, weil es ihm verdächtig vorkam, dass über einen längeren Zeitraum niemand an dem Blumenstand war. Die beiden Beamten (sein damaliger Streifenkollege ist inzwischen verstorben) fanden Enver Simsek im Laderaum seines Kastenwagens in einer Blutlache.
„Hat Herr Simsek da noch gelebt?“, wollte der Vorsitzende vom Zeugen wissen. „Ja!“, erklärte der pensionierte Polizist. „Woher wussten sie das?“, fragte der Vorsitzende. „Er hat noch gehechelt“, durfte der Zeuge daraufhin unwidersprochen antworten. Bin ich der Einzige, den das gestört hat? Es scheint so. Denn der Ausdruck wurde am Ende des Prozesstages auch von den Nebenklägeranwälten Scharmer und Stolle in ihrer so genannten „Presseerklärungen“ völlig selbstverständlich benutzt – ohne dass es ein Zitat gewesen wäre.
„Hecheln“ ist aber im normalen Sprachgebrauch kein menschliches Verhalten. Es ist die biologische Bezeichnung für Temperaturregulierung bei Tieren, insbesondere bei Hunden. Es ersetzt das Schwitzen. Das sollten auch Polizeihauptmeister und Rechtsanwälte wissen. Zur Ehrenrettung des Polizisten mag man noch annehmen, dass er „röcheln“ sagen wollte – was in Anbetracht der Verletzungen von Enver Simsek durch mehrere Einschüsse auch nicht unwahrscheinlich wäre. Doch für die, die das Wort aufgreifen, ist das keine Entschuldigung.
Wer sich häufiger mit Kriminalern oder Leuten aus dem Rettungsdienst unterhält, weiß, dass deren Sprache durch viele entsetzliche Erlebnisse geprägt ist. Damit flapsig oder sarkastisch umzugehen, mag eine Art Selbstschutz sein. Aber es ist erstaunlich, dass diese Sprache nicht einmal auffällt, sondern sogar noch unkritisch von denen weiter verbreitet wird, die sich den Schutz der Opfer auf die Fahnen geschrieben haben.
Hecheln beim Menschen gibt es allerdings auch. In der Geburtsmedizin. Passt hier aber auch nicht. Trotz der vorangegangenen Zangengeburt…
schreibt am 9. Juli 2013 21:38 :
schreibt am 10. Juli 2013 08:01 :
schreibt am 10. Juli 2013 11:47 :
schreibt am 10. Juli 2013 12:25 :