Zum nahenden Ende der Beweisaufnahme im „Buback-Prozess“ gegen Verena Becker habe ich unter Kollegen gefragt, wie sie die vergangenen sechzehn Monate Hauptverhandlung erlebt haben. Hier kommt Teil 2 der Umfrage. Mit der Gretchen-Frage: Wird der Senat Verena Becker verurteilen? Und wenn: Weswegen?
Dr. Frank Bräutigam, 36, ARD-Rechtsexperte, Karlsruhe:
Hat Michael Buback mit seinem Wunsch „die Täter zu kennen“ etwas erreicht?
„Er hat erreicht, dass die Ermittlungen überhaupt wieder aufgenommen wurden und die ungeklärten Fragen wieder ins öffentliche Bewusstsein gelangen. Wer hätte sich bis 2007 vorstellen können, dass der Buback-Mord nochmal vor Gericht aufgerollt wird? Den Wunsch selbst wird ihm auch der Ausgang des Prozesses wohl nicht erfüllen.“
Wie hat sich die Bundesanwaltschaft in der Beweisaufnahme präsentiert?
„Äußerst stark darauf festgelegt, dass Verena Becker nicht die Schützin war. Im Ton bisweilen hart gegenüber der Nebenklage.“
Was glauben Sie: Wird Verena Becker verurteilt werden? Und wenn, für was?
„Solche Prognosen habe ich mir abgewöhnt.“
Norbert Demuth, 45, Korrespondent der Nachrichtenagentur dapd in Karlsruhe:
Hat Michael Buback mit seinem Wunsch „die Täter zu kennen“ etwas erreicht?
„Jedenfalls nicht in dem Sinn, dass er nun weiß, wer die Täter sind. Dennoch ist davon auszugehen, dass in dem Prozess dasjenige RAF-Mitglied, das Bubacks Vater erschossen hat, nur wenige Meter von Michael Buback entfernt im Gerichtssaal saß. Denn alle, die bisher verurteilt wurden wegen dieses Mordanschlags – Christian Klar, Knut Folkerts und Brigitte Mohnhaupt – sowie jene, die zu den Verdächtigen gehören – Günter Sonnenberg und Stefan Wisnieswski – kamen als Zeugen. Doch sie schwiegen in ebenso eisiger Weise wie die wegen Mittäterschaft angeklagte Verena Becker. Angesichts der RAF-Leute im Rentenalter blieb für Beobachter auch die nüchterne Erkenntnis: Das also sind jene Menschen, die vor fast 35 Jahren eine ganze Republik in Angst und Schrecken versetzt haben!„
Wie hat sich die Bundesanwaltschaft in der Beweisaufnahme präsentiert?
„Die Bundesanwaltschaft fuhr auffallend früh eine konfrontative Strategie gegen den Nebenkläger Michael Buback, so dass manchmal fast in Vergessenheit geriet, wer auf der Anklagebank saß. Es kam desöfteren zu lautstarken Wortgefechten zwischen Bundesanwaltschaft und Michael Buback. Dieser trug allerdings nicht selten zu der Eskalation bei, indem er häufig unjuristisch und zu laienhaft vorging. Zudem vermischte er Argumentationsebenen, indem er mal seine Rolle als Opfer und dann wieder seine Rolle als „Ermittler“ hervorhob. Man hätte ihm einen Anwalt vom Kaliber der Verteidiger Beckers gewünscht“
Was glauben Sie: Wird Verena Becker verurteilt werden? Und wenn, für was?
„Denkbar erscheint mir derzeit ein Freispruch, aber auch eine Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord. Ob es für eine schärfere Verurteilung wegen Mittäterschaft reicht, ist dagegen eher fraglich. Ausgeschlossen ist meiner Ansicht nach, dass Becker als Todesschützin verurteilt wird. Nicht vergessen werden darf, dass in die Urteilsfindung auch gerichtsverwertbare, als „geheim“ eingestufte Unterlagen einfließen dürften.“
Christian Denso, 40, Redakteur „Die Zeit“:
Hat Michael Buback mit seinem Wunsch „die Täter zu kennen“ etwas erreicht?
„Faktisch nicht, und das ist bitter, nicht nur für seine Frau und ihn. Sie (und andere) haben es aber geschafft, dass öffentlich sehr deutlich wurde, wie wenig Raum die Opfer und ihre Angehörigen bisher in der Diskussion um den Linksterrorismus hatten. Sie haben gezeigt, wie viel da noch aufzuarbeiten ist.“
Wie hat sich die Bundesanwaltschaft in der Beweisaufnahme präsentiert?
„Als Behörde, deren Geduld mit dem Sohn eines ehemaligen Generalbundesanwaltes am Ende ist – obwohl der nur deshalb ermordet wurde, weil er der Behörde vorstand. Es mag dafür gute Gründe geben, vor allem für die Sitzungsvertreter. Insgesamt aber hat sich das Haus zu sehr um die juristische Aufarbeitung gekümmert und zu wenig um die menschliche Seite. Das erscheint mir letztlich als eine Frage von Größe, nicht von Paragrafen. Ein Verurteilung von Verena Becker, weil sie Briefmarken auf die Bekennerpost geklebt hat, würde niemanden weiter helfen“
Was glauben Sie: Wird Verena Becker verurteilt werden? Und wenn, für was?
„Noch ist der Prozess nicht zu Ende, noch liegt womöglich nicht alles auf dem Tisch: Aber ein Freispruch scheint möglich. Damit würde dieser Prozess einer Farce sehr nahekommen.“
Dr. Jochen Neumeyer, 39, Justizkorrespondent der Deutschen Presse-Agentur
Hat Michael Buback mit seinem Wunsch „die Täter zu kennen“ etwas erreicht?
„Mich würde interessieren, wie er diese Frage für sich selbst beantwortet.“
Wie hat sich die Bundesanwaltschaft in der Beweisaufnahme präsentiert?
„Professionell, stets gut vorbereitet, reaktionsschnell. Manchmal allerdings im Ton etwas scharf, vor allem im Konflikt mit Michael Buback.“
Was glauben Sie: Wird Verena Becker verurteilt werden? Und wenn, für was?
„Dass sie im Sinne der Anklage, also wegen Mittäterschaft verurteilt wird, scheint mir nach dem rechtlichen Hinweis des Gerichts vor Weihnachten eher unwahrscheinlich. Als unmittelbare Täterin: Nach derzeitigem Stand ausgeschlossen. Bleiben eine Verurteilung wegen Beihilfe oder ein Freispruch als wahrscheinliche Möglichkeiten. Hier möchte ich keine Prognose wagen.“
Wiebke Ramm, 35, Gerichtsreporterin für die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“, den „Tagesspiegel“ und die „Stuttgarter Zeitung“
Hat Michael Buback mit seinem Wunsch „die Täter zu kennen“ etwas erreicht?
„Michael Buback selbst sagt, seine Frau und er hätten bereits Gewissheit darüber, wer geschossen hat, unabhängig davon, zu welchem Urteil das Gericht kommt. Insofern haben sie vielleicht subjektiv zumindest ein Teilziel erreicht. Fest steht, ohne Bubacks Hartnäckigkeit hätte es den Prozess nie gegeben, und die Gesellschaft hätte sich des noch immer bestehenden Leids der Angehörigen der RAF-Opfer und der vielen offenen Fragen nicht in diesem Maße erinnert. Ob Bubacks Engagement nicht doch Eindruck auf die damaligen Täter gemacht hat, wird die Zukunft zeigen. Ausgeschlossen ist das nicht.“
Wie hat sich die Bundesanwaltschaft in der Beweisaufnahme präsentiert?
„In Stuttgart lässt sich eine Rarität in deutschen Gerichtssälen beobachten: Zumeist ziehen Ankläger und Nebenkläger an einem Strang, im Becker-Verfahren ist die Bundesanwaltschaft mehr mit Attacken gegen Buback als mit der Angeklagten beschäftigt. Die Bundesanwälte wirken nicht selten genervt. Ein souveräner Umgang mit Bubacks Stil und seiner fehlenden juristischen Ausbildung wäre angemessener.“
Was glauben Sie: Wird Verena Becker verurteilt werden? Und wenn, für was?
„Die Kunst der Konspiration beherrschte die RAF offenbar meisterlich. Ja, Verena Becker war Mitglied einer terroristischen Vereinigung. Viel mehr ist ihr nach bald 35 Jahren schwer nachzuweisen. Wenn das für eine Verurteilung wegen des Attentats auf Generalbundesanwalt Buback und seine beiden Begleiter reicht, müssten weitere Anklagen gegen frühere RAF-Mitglieder folgen.“
Ulf G. Stuberger, 62, Justizkorrespondent und Buchautor:
Hat Michael Buback mit seinem Wunsch „die Täter zu kennen“ etwas erreicht?
„Die öffentliche Vorverurteilung der späteren Angeklagten in einem Buch hat sich als Bumerang für seine Thesen erwiesen, die einer gerichtlichen Prüfung nicht standhalten konnten. Die ihm von den Medien entgegengebrachte Vorschuss-Sympathie hat er sich auch durch teils unbegründete Kritik an Pressevertretern selbst abgebaut.“
Wie hat sich die Bundesanwaltschaft in der Beweisaufnahme präsentiert?
„Gelegentlich ungeschickt, was den Eindruck erweckt hat, nicht gegen, sondern für die Angeklagte ermittelt zu haben. Schweigen wäre manchmal beeindruckender gewesen als einem hitzigen Ankläger zuhören zu müssen. Zu berücksichtigen ist aber, dass im Blog des Nebenklägers Buback von dessen Sympathisanten persönliche Angriffe gegen Bundesanwalt Hemberger veröffentlich wurden, die darin gipfelten, in Dachau habe es „den Falschen erwischt“ (wo ein Angeklagter den Staatsanwalt erschossen hatte).„
Was glauben Sie: Wird Verena Becker verurteilt werden? Und wenn, für was?
„Wegen Beihilfe durch Belecken von Bekennerschreiben, falls es nicht zu einer Einstellung des Verfahrens kommt.“
Den ersten Teil der Umfrage gibt es hier.
schreibt am 10. Februar 2012 00:08 :
schreibt am 10. Februar 2012 17:58 :
schreibt am 5. Mai 2012 23:41 :