Energiewende

Vertikale Windräder - leiser und weniger gefährlich für Tiere

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Christoph Kersting
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Anja Braun

Vertikale Windkraftanlagen sind leiser und bieten mehr Vogelschutz als herkömmliche Windräder. Anwohner könnten diese neuartigen Windräder als weniger störend betrachten. Hat diese Technologie das Potential, die Energiewende voranzubringen?

Keiner will Windräder vor seiner Haustür

Bis 2050 soll Deutschland mindestens 80 Prozent seiner Energie aus erneuerbaren Energien produzieren, und zentral hierbei wird der weitere Ausbau der Windkraft sein. Doch während die meisten Menschen die Energiewende befürworten, werden immer weniger Windparks genehmigt. Denn immer mehr Bürgerinitiativen kämpfen gegen die riesigen Windmühlen vor der eigenen Haustür.

Vertikale Windkraftanlagen könnten die Alternative sein

Eine Alternative könnten hier so genannte vertikale Windkraftanlagen sein, die sich um die eigene Achse drehen und nicht horizontal wie konventionelle Anlagen. Ein Schweizer Startup hat jetzt erstmalig eine solche vertikale Windkraftanlage im großen Maßstab gebaut und testet den Prototypen in Nordrhein-Westfalen.

Am Stadtrand von Grevenbroich, eine halbe Autostunde nordwestlich von Köln, steht inmitten von herkömmlichen Windrädern der Prototyp von "Vertical Sky"®. Er sieht aus wie ein etwas überdimensionierter Mobilfunkmast.

Diese Fotomontage zeigt das vertikale Windkraftrad Vertical Sky® A 32 auf dem Windtestfeld im Vergleich zu herkömmlichen Windrädern. (Foto: Pressestelle, agilewindpower.com / Vertical Sky®)
Diese Fotomontage zeigt das vertikale Windkraftrad Vertical Sky® A 32 auf dem Windtestfeld im Vergleich zu herkömmlichen Windrädern.

Rotoren drehen vertikal statt horizontal

"Vertical Sky"® ist von dem Schweizer Patrick Richter entwickelt worden. Sein StartUp Agile Wind Power AG möchte die vertikalen Windräder vermarkten.

Die Achse, um die das Windrad dreht, die steht vertikal, während das bei den konventionellen Anlagen horizontal ist, wo die Rotorblätter angebracht sind. Und bei uns ist da halt eine vertikale Achse und dort auch senkrecht angebracht die Rotorblätter.

Vertikale Windräder können z.B. auch zur Stromeinspeisung ins Bahnnetz genutzt werden. (Foto: Pressestelle, agilewindpower.com / Vertical Sky®)
Vertikale Windräder können z.B. auch zur Stromeinspeisung ins Bahnnetz genutzt werden.

Technik bisher nur bei kleineren Anlagen eingesetzt

Die Rotorblätter drehen sich senkrecht gestellt wie große Antennen eines Mobilfunkmastes um die Turmachse. Die Technik ist nicht neu: Solche vertikalen Anlagen gibt es schon lange, allerdings im viel kleineren Maßstab, auf Hausdächern etwa. Das Problem bisher: Im größeren Maßstab wirken zu starke Fliehkräfte auf Lager und Rotoren, das Material ermüdet schnell und bricht am Ende.

Rotorblätter werden immer wieder optimal in den Wind gestellt

Richter hat mit seinem Ingenieur-Team zehn Jahre daran getüftelt und ein intelligentes Steuerungssystem entwickelt, das Materialermüdung verhindern soll. Jedes der drei senkrecht im Wind stehenden Rotorblätter wird dabei permanent und individuell „gepitcht“, das heißt optimal in den Wind gestellt. Dieses Justieren geschieht ständig und ermöglicht es, auch vertikale Anlagen im großen Maßstab zu bauen.

Dieser so genannte Querdreher ist eine Testanlage, die vom regionalen Energieversorger Emscher-Lippe-Energie, betrieben wird und Ökostrom ins Verteilernetz speist.  (Foto: IMAGO, imago images / Jochen Tack)
Dieser so genannte Querdreher ist eine Testanlage, die vom regionalen Energieversorger Emscher-Lippe-Energie, betrieben wird und Ökostrom ins Verteilernetz speist.

Weniger Lärm durch vertikale Drehachse

Die Pilotanlage im nordrhein-westfälischen Grevenbroich ist 105 Meter hoch und hat eine Nennleistung von 750 Kilowatt. Dabei verursacht sie deutlich weniger Lärm als herkömmliche Windräder. Sie sind nach Angaben des Unternehmens sogar dreimal leiser:

Dadurch können wir auch Standorte erschließen, die heikel sind, wo es Abstände braucht. Da können wir vielleicht eben eine Anlage hinstellen, wo es mit einer konventionellen nicht mehr geht. Eine konventionelle Anlage hat heute einen Schallleistungspegel von 100 bis 105 Dezibel, und unsere Anlage bewegt sich zwischen 80 und maximal 85 Dezibel.

Gegen traditionelle Windparks wie hier in Schleswig-Holstein gibt es immer wieder Gegenwind. Könnten vertikale Windräder vielleicht eine Alternative sein? (Foto: IMAGO, imago images / penofoto)
Gegen traditionelle Windparks wie hier in Schleswig-Holstein gibt es immer wieder Gegenwind. Könnten vertikale Windräder vielleicht eine Alternative sein?

Hoffnung auf Akzeptanz durch Anwohner

Gerade wegen des Faktors Lärm wurden in den vergangenen Jahren deutlich weniger Windkraftanlagen gebaut als eigentlich geplant. In Bayern wurden gar keine Windräder mehr aufgestellt, weil hier seit 2014 eine Abstandsregel von 2000 Metern zu Wohngebieten gilt.

Vertikale Windräder sind keine Todesfalle für Vögel

Nach Schätzungen unterschiedlicher Forschungsgruppen werden im Durchschnitt rund 40 Vögel pro Jahr durch eine einzelne Windturbine getötet. Die vertikalen Windkraftanlagen sollen laut Entwickler Richter weit weniger gefährlich sein:

Wenn ein Vogel erschlagen wird, dann ist das meistens dann, wenn das Rotorblatt von oben nach unten kommt. Das passiert bei uns nicht, weil unser Rotorblatt permanent auf der gleichen Höhe ist. Es bewegt sich, wenn ich nach vorne schaue, wie von links nach rechts oder rechts nach links. Die Vögel sehen das und können dem ausweichen.

Diese Einschätzung teilen auch Experten von der Schweizerischen Vogelwarte Sempach. In einer Stellungnahme heißt es: "Für Großvögel, die tagsüber unterwegs sind, scheint das Gefahrenpotenzial bei der Windturbine mit vertikaler Drehachse minimal.“

Rotmilan, der in der Nähe eines Windrades fliegt. Windräder sind für viele Vögel eine Todesfalle.  (Foto: IMAGO, imago images / Shotshop)
Rotmilan, der in der Nähe eines Windrades fliegt. Windräder sind für viele Vögel eine Todesfalle.

Nischenlösung für autarke Betriebe

Windkraft-Experte Holger Lange von der Hochschule Bremerhaven sieht die Stärke der vertikalen Windkraftanlagen darin, Unternehmen und öffentliche Einrichtungen in oder unweit von Wohngebieten autark zu machen:

Das hat sich früher immer Insellösung genannt. Das heißt, ich habe eine Anlage, die mich selbst unabhängig vom Netz macht, zum Beispiel um einen Bauernhof mit Strom zu versorgen. Oder auch zur Versorgung von Kläranlagen. Denn Kläranlagen haben einen unglaublichen Strombedarf, das wissen die wenigsten. Interessant ist diese Stromgewinnung auch für Zementwerke und Aluminiumhütten.

Zusätzlicher Mosaikstein in der Energiewende

Forscher Holger Lange hält die vertikalen Windkraftanlagen für einen sinnvollen zusätzlichen Mosaikstein zur Energiewende. Er glaubt jedoch nicht, dass sie in größerem Umfang zur Stromeinspeisung ins öffentliche Netz eingesetzt werden.

Den größten Energieanteil werden wir natürlich aus den ganz großen Windenergieanlagen der Zukunft ziehen. Also der Trend geht schon eher zur 10-Megawatt-Anlage. Wir werden mit diesen Anlagen dann nur Regionen noch einnehmen können, die vorher nicht geeignet waren für diese großen Anlagen. Ich würde mal sagen, man kann mit solchen Nischenlösungen vielleicht nochmal fünf Prozent der Energiegewinnung rausziehen.

Windkraftpionier Patrick Richter jedenfalls will noch in diesem Jahr richtig durchstarten und, wenn alles gut läuft, bis 2022 die ersten 20 vertikalen Windkraftanlagen in Deutschland und den USA aufstellen.

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